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11.07.2025 Ein musikalischer Weltentwurf
Das Beste kommt zum Schluss: Wir nähern uns dem letzten Sinfoniekonzert dieser Saison – mit Gustav Mahlers 8. Sinfonie, für viele der musikalische Höhepunkt des Jahres. Eine zentrale Rolle in der Aufführung spielt der Staatsopernchor Stuttgart, verstärkt durch Mitglieder des Extrachors. In diesem Beitrag beschreibt Anna Matyuschenko (3. Chorvorstand), was die besondere Faszination dieses monumentalen Werks ausmacht.
Mahler selbst nannte dieses monumentale Werk „seine Messe“. Und tatsächlich ist es weit mehr als eine gewöhnliche Sinfonie – es ist ein spirituelles, philosophisches, ja fast opernhaftes Gesamtkunstwerk. Wesentliche literarische Inspirationen hatte Mahler unter anderem bei Dostojewskis Die Brüder Karamasow erfahren. Im Gespräch mit Schönberg soll er gesagt haben:
„Lassen Sie die jungen Leute, die bei Ihnen lernen, doch Dostojewski lesen – das ist wichtiger als der Kontrapunkt!“
Gustav Mahler, zitiert nach Paul Stefan
Aber auch Goethes Faust II diente ihm als Inspiration: Er nahm das Werk als zentrales Element für diese Sinfonie – ein Text, der selbst Literaturkennerinnen und -kennern oft Rätsel aufgibt. Das zeigt den enormen Anspruch dieser Komposition.

Im ersten Teil der Sinfonie vertont Mahler den Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus“ – „Komm, Schöpfer Geist“. Zentral ist hier die Figur des „Parakleten“, ein Begriff aus dem Johannesevangelium. Gemeint ist der „Beistand“, der „Tröster“ – der Heilige Geist, den Jesus seinen Jüngern als bleibende geistige Gegenwart verheißt:
„Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand (griech. paraklitos) geben, dass er bei euch bleibe in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht noch kennt ihn; ihr aber kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“
Johannes 14, 16–17 (Lutherbibel 1984)
Mahler verknüpft diese religiöse Dimension mit dem zweiten Teil der Sinfonie, der Goethes Faust II musikalisch in Szene setzt. Hier öffnet sich ein weltumspannender Horizont: Was ist die Welt? Was hält sie im Innersten zusammen? Welche Rolle spielt der menschliche Geist (spiritus) in einer zunehmend entzauberten Welt? Welche Verbindung besteht zwischen spiritus und mentes (Verstand)?

Im Finale der Sinfonie erscheint schließlich eine zentrale Figur: die „Himmelskönigin“. Gemeint ist Maria, die Jungfrau, die für Mahler – wie für Goethe – das Bild des Ewig-Weiblichen verkörpert. Das Werk endet mit den Worten:
„Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“
Goethe, Faust II
Dieses Symbol steht für eine mystische, erlösende Kraft, die den Menschen zu höherer Erkenntnis und Läuterung führt. Zu Mahlers Zeit haben sich mehrere Komponisten damit befasst, alte religiöse Stoffe durch Musik neu zu erkennen, zu rekonstruieren.

Doch was bedeutet das konkret? Welche Ideale, welche Sehnsucht, welche utopischen Visionen verbergen sich hinter diesem Bild? Und was meint Goethe mit Sätzen wie: „Das Unzulängliche ist nur Ereignis“?
„Das Unzulängliche ist produktiv. Ich schrieb meine Iphigenie aus einem Studium der griechischen Sagen, das aber unzulänglich war. Wenn es erschöpfend gewesen wäre, so wäre das Stück ungeschrieben geblieben.“
Goethe, Gespräche mit Friedrich Wilhelm Riemer, 1811
Und Adorno schließlich schreibt:
„Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“
Theodor W. Adorno, Quasi una Fantasia, 1963
Ihre Perspektive ist gefragt!
Was bedeutet Ihnen diese Sinfonie? Was denken Sie über das Ewig-Weibliche, oder den Parakleten? Schreiben Sie uns – der Staatsopernchor freut sich auf Ihre Gedanken, Fragen, Deutungen und Kommentare an oper@staatstheater-stuttgart.de!