Am Anfang stand eine Vision: Wie wäre es, wenn die Titelheldin von Der rote Wal in einem Regenschauer stünde – und sie sich vom Mädchen Isi in eine Art Superheldin verwandeln würde? Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter hatte für die Figur der Gladis eine Lederjacke vor Augen, die sich auf der Bühne vor den Augen des Publikums in einem Regenschauer auflösen und der Titelheldin vom Leib fallen sollte. Unmöglich? Natürlich nicht für unsere Kostümabteilung! Mit der Umsetzung wurde nach der Abgabe der Kostümentwürfe die Damenschneiderei betraut, unterstützt vom Kunstgewerbe, das entsprechend der Entwürfe alle schmückenden Lederapplikationen auf die Jacke aufbringen würde. Das Team hatte sechs Wochen Zeit, eine solche Lederjacke anzufertigen, zu verzieren und der Darstellerin auf den Leib zu schneidern – während gleichzeitig ein Material gefunden werden musste, welches ein blitzschnelles „Zerfallen“ des Kostüms ermöglichte.

Um Zeit zu sparen, wurden zunächst mehrere identische Lederjacken nicht genäht, sondern schlichtweg gekauft. Mehrere Jacken zum einen, um bei jeder Vorstellung mindestens ein Kostüm als Reserve in der Garderobe zu haben – denn eine einmal durchnässte bzw. zerfallene Jacke ließe sich unmöglich am selben Abend noch weiterverwenden. Zum anderen war die Lederjacke ein Saisonprodukt und somit nur für einen begrenzten Zeitraum verfügbar. Und man wollte bereits langfristig für eine Wiederaufnahme und mögliche Änderungen in der Besetzung vorsorgen.

Die Lösung lieferte jedoch der geplante Regenschauer selbst: Entlang der Schnittkanten der einzelnen Kostümteile wurde ein wasserlösliches Vlies eingenäht – ein hauchdünnes Gewebe, das im trockenen Zustand das Gewicht der Jacke problemlos trägt, allerdings sofort zerfällt, sobald es mit Wasser in Berührung kommt. Bevor die Nähte mit Hilfe des Vlieses geschlossen wurden, brachte das Kunstgewerbe zunächst alle farbigen Applikationen auf die offenkantigen Jackenteile auf, erst danach wurde die Lederjacke für den „Zerfall“ präpariert.

Aber würde das alles auch auf der Bühne funktionieren? Bevor das Kostüm konkret zum Einsatz kam, wurde es innerhalb der Kostümabteilung getestet – und das bedeutete: Duschen! Die Assistentin der Produktionsleitung Oper hatte die Aufgabe, mitsamt der präparierten Lederjacke unter die Dusche zu gehen und zu prüfen, ob das Vlies sich tatsächlich so schnell auflösen würde wie erhofft. Der Test glückte – und die finalen Anproben mit der Gladis-Darstellerin Madina Frey konnten durchgeführt werden.

Und wie geht es mit der zerfallenen Lederjacke nach einer Vorstellung weiter? Nur ein „One Hit Wonder“? Keinesweg! Tatsächlich wird das Kostüm nach jedem Einsatz über Nacht gründlich getrocknet, mit Lederpflege behandelt und anschließend mit besagtem Vlies wieder zusammengenäht. So ist sie binnen 24 Stunden wieder bereit für ihren nächsten Auftritt.