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18.11.2025 Im Gespräch mit Ivan Danko
Ivan Danko über „Process“
Oboe, Cembalo und Wagnertuba – die drei Solo-Instrumente in Ivan Dankos „Process“ sind wahrlich kafkaesk. Passender könnte es auch nicht sein, denn die Komposition unseres Composer in Focus vertont den bahnbrechenden gleichnamigen Roman des Jahrhundertschriftstellers. Bevor das Werk im 2. Sinfoniekonzert am 23. und 24. November seine deutsche Erstaufführung feiert, haben wir uns mit Ivan Danko zum Gespräch getroffen.
Neben Ihrer Tätigkeit als Solo-Oboist des Staatsorchesters Stuttgart sind Sie auch als Komponist aktiv. In dieser Spielzeit präsentieren Sie sich sowohl mit dem 2. Sinfoniekonzert als auch innerhalb der Kammermusikreihe des Staatsorchesters Stuttgart als Composer in Focus. Wie sind Sie zum Komponieren gekommen?
Bereits während meiner Studienzeit am Konservatorium in Bratislava habe ich mich mit der Komposition auseinandergesetzt. Schon damals hatte ich Ambitionen in diesem Bereich, doch viel Zeit hatte ich aufgrund meines Oboenstudiums und der daran anschließenden Stelle als Solo-Oboist im Staatsorchester Stuttgart nicht dafür. Erst während der Corona-Pandemie, als das Kulturleben stark eingeschränkt wurde, eröffnete sich für mich die Möglichkeit, mich intensiver mit dem Komponieren auseinanderzusetzen. Ein wichtiger Mentor war und ist für mich der Komponist und Dirigent Konstantin Ilievsky, bei dem ich das kompositorische Handwerk erlernt habe.
Wie ist Ihr Werk Process entstanden, das in diesem Sinfoniekonzert die deutsche Erstaufführung erlebt?
Als Komponist bin ich immer auf der Suche nach starken Inspirationsquellen. Seit meiner Studienzeit am Konservatorium, als ich erstmals mit Franz Kafka in Berührung gekommen bin, bin ich fasziniert von seinen Werken. Damals war ich zutiefst schockiert, fast traumatisiert, nachdem ich seinen Roman Der Process gelesen hatte. Daraufhin habe ich mich fast zwanzig Jahre nicht mehr an seine Werke herangewagt. Erst vor wenigen Jahren bin ich zu seinem Process zurückgekehrt und habe mich gefragt, wie ich diese sehr spezielle Atmosphäre seines Romans in Klänge fassen könnte. Den Ausgangspunkt für meine Komposition bildeten die vier Töne c-e-ces-es. Diese Töne sind sowohl der altdeutschen Schreibweise des Titels mit einem „c“ statt „z“ (Process) als auch der tschechischen Schreibweise mit nur einem „s“ (Proces) entnommen. Das Motiv erscheint im Verlauf des Stücks mal als harmonisches Cluster, mal wird es kontrapunktisch verarbeitet. Die kafkaeske Atmosphäre greife ich mit der außergewöhnlichen Instrumentierung der Solostimmen auf. Die Kombination von Oboe, Wagnertuba und Cembalo bietet ein besonderes Klangerlebnis. Das Cembalo repräsentiert für mich die barocken Paläste in Prag, in denen Kafka selbst als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet hatte. Die optimistische Oboe steht für Kafkas Ambitionen, Träume und seine literarische Brillanz, während die Wagnertuba die inneren Brüche und Paradoxe in seinem Werk und Leben klanglich einfängt.
Wie ist das Stück aufgebaut?
In meinem Stück habe ich drei Kapitel aus Kafkas Roman vertont: Das erste Kapitel Die Verhaftung, das Kapitel Im Dom sowie das Ende, in dem der Protagonist Josef K. entführt und hingerichtet wird. Der Anfang ist sehr dramatisch und erinnert an einen Horrorfilm. Wie im Roman spürt man, dass etwas Tragisches passieren wird, kann es aber nicht in Worte fassen. Es bleibt eine vage Ahnung. Ich greife einzelne Elemente aus dem Roman musikalisch auf, wie etwa das Schlagen der Pendeluhr um acht Uhr morgens. Nachdem Josef K. nicht wie üblich um diese Uhrzeit das Frühstück gebracht wurde, läutet er, um seine Vermieterin zu rufen. Auch dieses Läuten habe ich in die Komposition als Motiv einfließen lassen. Anschließend tritt einer der beiden Wächter, die ihm seine Verhaftung mitteilen, in Josef K.‘s Zimmer. Für diesen dramatischen Moment kommt die Wagnertuba zum Einsatz. Auf die düstere Stimmung des Beginns folgt ein Fugato, in dem ich das Vier-Ton-Motiv c-e-ces-es kontrapunktisch verarbeite und zu sehr schnellen Passagen steigere. Im weiteren Verlauf erklingen zwei Kadenzen für die Soloinstrumente, die sehr herausfordernd sind. Insbesondere bei der Szene im Dom verwende ich moderne Spieltechniken. Wie ein Alptraum erscheint der Marche funèbre am Ende des Stücks, das den tragischen Ausgang von Kafkas Roman darstellt.
Welche modernen Spieltechniken kommen in Ihrer Komposition zum Einsatz?
Bei der Oboe verwende ich beispielsweise Multiphonics, bei denen mehrere Töne gleichzeitig erklingen. Die Wagnertuba hat Passagen, bei denen der*die Interpret*in in das Instrument während des Spielens hinein singt. Insbesondere für den Part der Wagnertuba habe ich mich mit verschiedenen Hornist*innen beraten und über die Möglichkeiten des Instruments gesprochen. Wenn ich ein Werk komponiere, dann ist es mir wichtig, auch als Interpret darauf zu blicken. Dafür nutze ich meine vielfältigen Erfahrungen als Oboist und Orchestermusiker. Ich schaue genau, ob das Werk spielbar ist und ob die modernen Spieltechniken auch sinnvoll eingesetzt werden. Sie sollen kein Selbstzweck sein, sondern müssen künstlerischen Sinn ergeben.
In welchem Rahmen fand die Uraufführung des Stücks Process statt?
Uraufgeführt wurde das Stück in Prag anlässlich des 100. Todestags von Franz Kafka mit den Prager Kammersolisten und ihrem künstlerischen Leiter, dem Dirigenten und Hornisten Radek Baborák, der die Wagnertuba gespielt hat. Der ehemalige Solohornist der Berliner Philharmoniker zählt zu den bedeutendsten Hornist*innen der Gegenwart. Es war ein besonderes Erlebnis für mich, in diesem Rahmen sowohl als Komponist als auch als Interpret auftreten zu dürfen. Anschließend haben wir das Stück mit dieser Besetzung noch zwei Mal in Sofia, Bulgarien, gespielt.
Worauf freuen Sie sich am meisten bei der Aufführung Ihres Stücks mit dem Staatsorchester Stuttgart?
Ich freue mich darauf, das Stück unter der Leitung von Cornelius Meister und mit einer großen Streicherbesetzung aufführen zu dürfen, da das Stück bisher nur mit kleineren Streichergruppen aufgeführt wurde. Mit jeder Aufführung entwickle ich mich als Komponist weiter und diese Erfahrungen inspirieren mich für meine weiteren Werke. Außerdem freue ich mich auf die Uraufführung meines neuen Werks Frustrated Tolerance für Oboe, Streicher und Schlagzeug im Rahmen der Kammermusikreihe des Staatsorchesters Stuttgart am 11. März 2026 im Mozartsaal der Liederhalle.
2. Sinfoniekonzert
Richard Strauss Don Juan. Tondichtung op. 20
Ivan Danko (Composer in Focus) Process für Oboe, Wagnertuba, Cembalo und Streichorchester
Deutsche Erstaufführung
Wolfgang Amadeus Mozart Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Richard Strauss Tod und Verklärung. Tondichtung op. 24
Ivan Danko (Composer in Focus) Process für Oboe, Wagnertuba, Cembalo und Streichorchester
Deutsche Erstaufführung
Wolfgang Amadeus Mozart Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Richard Strauss Tod und Verklärung. Tondichtung op. 24