Zusammen zu singen klingt einfach. Doch wie macht man aus vielen Stimmen eine Einheit? Der Chordirektor des Staatsopernchores Stuttgart im Gespräch mit Florian Heurich über Gleichklang, Harmonie und Balance.
Ein Chor besteht aus individuellen Künstlern, die bereit sein müssen, sich aufeinander einzustellen und in eine Gruppe einzufügen. Man muss eine Balance finden, muss erspüren, wann die eigene Stimme etwas mehr im Vordergrund stehen kann, wann man den Nachbarn mitziehen oder sich selbst zurückhalten muss. Gerade ein Opernchor lebt davon, dass er aus verschiedenen Charakteren besteht. Deshalb ist es wichtig, dass die Individualität jedes Einzelnen erhalten bleibt, dass man aber trotzdem nicht den Zusammenklang verliert. Wenn bei uns ein oder zwei Kollegen nicht da sind, merken wir sofort, dass wesentliche Elemente in diesem Organismus fehlen.

Musikalische Harmonie entsteht, indem man gut aufeinander hört. Der einzelne Sänger oder die einzelne Sängerin muss die Funktion der eigenen Stimme in einem Akkord genau kennen, damit es harmonisch klingt. Dabei kommt es auch stark auf die Gruppenzusammensetzung am jeweiligen Tag an. In der Probenarbeit schaffen wir Fixpunkte, an denen sich alle orientieren können. Der Chor hat dann genügend Routine, um auch in einer etwas anderen Konstellation wieder zusammenzufinden. Mehr als ein Jahr lang haben wir während der Pandemie mit Abständen von sechs Metern nach vorn und drei Metern nach links und rechts geprobt. Da war es sehr schwer, sich und die anderen zu hören und im Gleichgewicht zu bleiben. Auf menschlicher Seite entsteht Harmonie durch eine konstruktive Arbeitsweise. Sobald wir im Chorsaal oder auf der Bühne sind, müssen eventuelle persönliche Differenzen ausgeblendet werden. Wir sind ja ein Profichor, da ist es Grundvoraussetzung, dass man gemeinschaftlich miteinander umgeht. Aber Musizieren schweißt zusammen. Das ist in allen Kulturen so, und gemeinsames Singen kann jede Grenze überwinden.