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04.03.2022 Mehr als daily business

Mehr als Daily Business

Was genau sind die Herausforderungen einer so groß konzipierten Neuproduktion wie „BORIS“ von Modest Mussorgski und Sergej Newski? Acht Mitarbeiter*innen des Hauses erzählen, wie diese Aufführung für sie viel mehr ist als „Daily Business“.
Dmitry Kunyaev, Sprachcoach

Authentisch russisch bitte!

„Gesungen in Originalsprache“: Nur ein Satz im Programmheft, aber dahinter verbirgt sich ein Jahr Arbeit noch vor der ersten Probe. Die größte Herausforderung ist dabei für mich, die unterschiedlichen Muttersprachler*innen so zu coachen, dass sie am Ende alle authentisch russisch klingen. Bei BORIS kommen deutsche, serbokroatische, polnische, englische, isländische und spanische Muttersprachler*innen zusammen. Auf die Frage: Lohnt sich der ganze Aufwand? kann ich nur antworten: Aber natürlich! Die Originalsprache ist ein Teil der Komposition, und diese kann nur richtig erklingen, wenn sie richtig artikuliert wird.
Lisa Fuss, Leitung Großer Malsaal

Strich für Strich

Als Vorlage hatten wir für die Nachbildung eines echten Wand-Mosaiks aus Kiew nur ein Foto dieses Mosaiks. Wir haben lange überlegt, ob wir dafür kleine, bunte Steinchen spachteln oder kleben sollten, uns aber dann in Absprache mit den Bühnenbildnerinnen für eine rein malerische Lösung entschieden. Plastische Wirkung erzielen wir durch aufgemalte Schatten und Lichter, die die einzelnen Steinchen von den anderen absetzen. Die größte Herausforderung aber war die Vorzeichnung in unterschiedlichen Farben – um das komplizierte Motiv übersichtlich zu gliedern und einen Überblick zu gewinnen.
Christoph Wiedmann, Schlagzeuger im Staatsorchester Stuttgart

Fliesen, Schüsseln, Fahrradschläuche

Bis zum Eintreffen der fertigen Partitur stand die Endbesetzung der Schlagwerke nicht fest, wir wussten also nicht, wie viele Schlagzeuger gebraucht werden. Bei BORIS wurde die Anzahl der Schlagwerke noch um Fliesen, Glasplatten, Keramikschüsseln, Plastik- und Fahrradschläuche aus dem Baumarkt erweitert – und alle fünf Schlagzeuger werden im Einsatz sein. Für mich als deren Diensteinteiler besteht nun die größte Herausforderung darin, alle so einzuteilen, dass jeder mindestens zwei Schlagzeugparts für den Krankheitsfall einstudieren und ausreichend Zeit für alle Proben haben kann.
Bernhard Moncado, Stellvertretender Chordirektor und Leiter Kinderchor

Üben, üben, üben!

Die große Herausforderung für den Kinderchor ist – neben der Aussprache – das Auswendiglernen der russischen Texte. Begonnen haben wir mit einem Sprachcoaching durch zwei Muttersprachler aus dem Staatsopernchor. Jedes einzelne Wort wurde vorgesprochen – die Kinder haben es nachgesprochen und mehrmals wiederholt. Eine Wort-für-Wort-Übersetzung half dabei, dass alle wussten, wovon sie singen. Das ist sehr wichtig, um ein Gespür für die Stimmfarbe zu bekommen – soll es lustig, traurig oder böse klingen. Glücklicherweise haben wir im Kinderchor mehrere Kinder mit russischen Wurzeln. Sie konnten bei den Proben immer wieder korrigieren und verbessern.
Und ansonsten: üben, üben, üben!
Maria Theresa Ullrich als Mutter des Selbstmörders, Foto: Matthias Baus
Marion Bleutge, Maskenbildnerin

Zopfkronen für Zwei

Zwei Sänger tragen in einer Szene aufwendig hergestellte Zopfkronen. Als Vorlage hatte ich von den Kostümbildnern nur ein Foto aus dem Internet. Die Herausforderung war nun, sie stabil und bühnengeeignet nachzubilden: wie liegen die Haarflechten übereinander, welche Form braucht das Untergestell, wie könnte es von hinten aussehen. Es darf nicht zu schwer sein und beim Singen auch nicht einengen. Zuerst hat die Rüstmeisterei leichte Grundgestelle gebaut, die ich auf passgenaue Filzkappen aufgebracht habe. Verschieden dicke Zöpfe aus Kunsthaar haben wir entlang des Gestells aufgenäht. Um das Gewicht gering zu halten, sind in manchen Zöpfen leichte Schaumstoffwürste, genauer Fugenfüllprofil aus dem Baumarkt eingewoben. Das Ergebnis ist super, aber ich weiß auch: Am Ende der Vorstellung gilt für beide – schnell wieder runter damit!

Harald Prösl, Maschinenmeister Opernhaus

Und sie dreht sich doch!

Da wir im Opernhaus nicht über eine fest installierte Drehscheibe verfügen, stellen Drehscheiben-Produktionen immer eine gewisse Herausforderung dar. Speziell bei BORIS hat uns das Gewicht der Aufbauten und die Beschaffenheit unseres Bühnenbodens ein wenig Sorgen bereitet. Die Drehscheibe wurde in unseren Werkstätten gefertigt. Für die Steuerung und das Antriebskonzept haben wir auf eine Eigenentwicklung zurückgegriffen, die sich bereits bei unserem
Wozzeck bewährt hatte. Die Testfahrten mit der reinen Stahlkonstruktion in unserer Montagehalle waren auf Anhieb erfolgreich. Aber uns ist doch ein Stein vom Herzen gefallen, als die komplett aufgebaute Drehbühne nach geringen Modifikationen bei der ersten technischen Einrichtung auch auf der Bühne problemlos fuhr.
Judith Konnerth, Videoabteilung

Video en masse!

Meine größte Herausforderung bei BORIS? Ein Livevideo – mit drei Kameras von sechs Darstellern während der Vorstellung erfasst, dann in der Königsloge von uns zu einem Video generiert und auf die Bühne projiziert. Die Videobilder werden dabei zu einer Art Endlosgemälde auf dem Videoring auf der Bühne zusammengesetzt. Der Videoring selbst schwebt über dem Bühnenbild und wird von Videobildern umkreist. Damit das alles auch funktioniert, haben wir ein Script programmiert, das die Endlosrotation live steuert. Die Herausforderung liegt neben der schieren Masse an Video-Technik vor allem darin, alles im Detail stimmig und punktgenau mit der gesamten Inszenierung zusammenzubringen. Für mich war auch die Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Vincent Stefan, dem kreativen Kopf des Videokonzeptes, eine tolle Erfahrung.
Viktor Schoner, Intendant

Gegenwartskunst neu gedacht

Der Grundgedanke für das Projekt BORIS war, die Idee der Zeitgenossenschaft nicht immer nur von der Seite der Regie her, sondern auch einmal aus dem Orchestergraben heraus anzugehen, d.h. die musikalische Dramaturgie genauso zeitgenössisch zu denken wie die theatralische. Diesen Gedanken dann in die richtige Form zu bringen war die größte Herausforderung. Bei unserem „kick-off-Tee“, bei dem ich den Dramaturgen Miron Hakenbeck, den Komponisten Sergej Newski und den Dirigenten Titus Engel das erste Mal zusammenbrachte, entstand bereits nach einer halben Stunde ein gegenseitiges Vertrauen, ja sogar eine Euphorie für das Konzept. Das war vor drei Jahren. Dann nahm das Projekt seinen Lauf. Nun werden die letzten zehn Probentage für mich die nächste Herausforderung sein, bei denen wir dieses komplexe Werkkonzept zu einem schlüssigen Theaterabend werden bringen müssen.