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25.06.2024 Schweißtreibende Musik
Schweißtreibende Musik
In erster Linie ist Richard Wagners „Götterdämmerung“ für alle Mitwirkenden eine geistige Herausforderung. Dennoch haben wir uns gefragt: Ist es nicht auch körperlich eine große Anstrengung? Cornelius Meister war bereit, bei der letzten Aufführung am 2. Juni 2024 über die gesamte Zeit ein Puls-Messgerät zu tragen. Die Bilanz des Abends: 2000 verbrauchte Kalorien nur während des Dirigats – und in den Pausen 2 ½ Liter Wasser, Apfel, Banane und Brot. Die sekundengenauen Ergebnisse des Messgeräts sehen Sie hier, kommentiert vom Generalsmusikdirektor höchstpersönlich!
1. Aufzug

1) 1. Aufzug, Takt 1. Gemeinsam beginnen wir um kurz nach vier Uhr am Nachmittag die Aufführung, die erst gegen 22 Uhr beendet sein wird. Bereits nach wenigen Takten steigt mein Puls von 95 auf 123. Es folgt ein ständiges Auf und Ab meiner Herzfrequenz, im Wesentlichen analog zum emotionalen Aufbau des Dramas.
2) 1. Aufzug, Takt 670. Zum ersten Mal am Abend hören wir das Siegfried-Horn, gespielt hinter der Bühne. Es markiert den Beginn von Siegfrieds Rheinfahrt, in der das grandiose Staatsorchester Stuttgart brillieren wird.
3) 1. Aufzug, Takt 994. In diesen Takten, dem Übergang von Hagens Monolog „Hier sitz’ ich zur Wacht“ zur dritten Szene, in der uns wieder Brünnhilde auf ihrem Felsen begleitet, werde ich ganz ruhig. Es wäre interessant, an dieser Stelle einmal den Puls der beiden Klarinettist*innen zu messen. Vermutlich wird er gerade hier in die Höhe schnellen, denn bei diesen Takten handelt es sich um das prominenteste Klarinetten-Duett des gesamten Abends.
4) 1. Aufzug, Takt 1087. Waltraute, eine der Walküren, tritt auf. Sie wird Brünnhilde erzählen, was sich alles ereignet hat, seitdem Wotan Brünnhilde am Ende der Walküre in die Verbannung geschickt hat.
5) 1. Aufzug, der allerletzte Takt. Genau in diesem Takt, nach 1 Stunde und 56 Minuten pausenlosen Dirigierens erreicht mein Puls den Höchststand des gesamten Abends: 150. Wie meine Herzfrequenz strebt die Gefühlskurve am Ende dieses Aufzugs exakt auf die Ziellinie zu: den letzten Ton. Aufgewühlt vom Drama, aber auch glücklich über die großartige Leistung und Intensität aller Mitwirkenden gehe ich in die Pause. Sie wird ca. 40 Minuten dauern.
2) 1. Aufzug, Takt 670. Zum ersten Mal am Abend hören wir das Siegfried-Horn, gespielt hinter der Bühne. Es markiert den Beginn von Siegfrieds Rheinfahrt, in der das grandiose Staatsorchester Stuttgart brillieren wird.
3) 1. Aufzug, Takt 994. In diesen Takten, dem Übergang von Hagens Monolog „Hier sitz’ ich zur Wacht“ zur dritten Szene, in der uns wieder Brünnhilde auf ihrem Felsen begleitet, werde ich ganz ruhig. Es wäre interessant, an dieser Stelle einmal den Puls der beiden Klarinettist*innen zu messen. Vermutlich wird er gerade hier in die Höhe schnellen, denn bei diesen Takten handelt es sich um das prominenteste Klarinetten-Duett des gesamten Abends.
4) 1. Aufzug, Takt 1087. Waltraute, eine der Walküren, tritt auf. Sie wird Brünnhilde erzählen, was sich alles ereignet hat, seitdem Wotan Brünnhilde am Ende der Walküre in die Verbannung geschickt hat.
5) 1. Aufzug, der allerletzte Takt. Genau in diesem Takt, nach 1 Stunde und 56 Minuten pausenlosen Dirigierens erreicht mein Puls den Höchststand des gesamten Abends: 150. Wie meine Herzfrequenz strebt die Gefühlskurve am Ende dieses Aufzugs exakt auf die Ziellinie zu: den letzten Ton. Aufgewühlt vom Drama, aber auch glücklich über die großartige Leistung und Intensität aller Mitwirkenden gehe ich in die Pause. Sie wird ca. 40 Minuten dauern.
2. Aufzug

6) 2. Aufzug, Takt 387, Beginn der dritten Szene. Ab jetzt geht die Post ab. Wir hören Stierhörner, Hagen singt „Hoi-ho! Hoi-ho-hoho!“ und später „Rüstig gezecht, bis der Rausch euch zähmt". Testosteron erfüllt Bühne und Graben. Die Streicher haben nach der Szene Muskelkater im Arm.
7) 2. Aufzug, Takt 646. Im größten Jubel verlangt Wagner ab hier vom Orchester, nur forte zu spielen, nicht fortissimo (also nur „laut“, nicht „sehr laut“). Das zu beachten ist wichtig, denn sonst wäre „Groß Glück und Heil lacht nun dem Rhein“ vom Chor nicht zu hören. Daher dirigiere ich die folgenden Takte ziemlich reduziert und klein, das führt zu einem plötzlichen Pulsabfall.
8a) 2. Aufzug, Takt 744. Der Beckenschlag leitet den Höhepunkt ein: Brünnhilde und Gunther werden empfangen. Der sogenannte Dominant-Septakkord wird in der musiktheoretischen Literatur häufig als Spannungsklang beschrieben, der sich in die Tonika auflöst. Höchste Spannung, scheinbar unendlich lang: hier wird’s Ereignis.
8b) 2. Aufzug, Takt 758. Der Höhepunkt der B-Dur-Auflösung, der Tonika: fortissimo mit tenoralem Glanz.
9) 2. Aufzug, Takt 1303. Eigentlich sind wir hier bereits in der Überleitung zur fünften Szene. Aber vielleicht bin ich emotional vom vorhergehenden Gefühlschaos auf der Bühne (Brünnhilde, eigentlich Siegfrieds Frau, sollte mit Gunther verheiratet werden) noch so ergriffen, dass jetzt, sozusagen eine halbe Minute zu spät, mein Herzschlag seinen Höhepunkt erreicht. Danach befinden wir uns in der trügerischen Ruhe vor dem Schluss-Sturm des zweiten Aufzugs: Hagen entlockt Brünnhilde das Geheimnis, wo Siegfried verwundbar ist, am Rücken nämlich.
10) 2. Aufzug, Takt 1561. „Siegfried falle, zur Sühne für sich und euch!“: Brünnhilde beschließt Siegfrieds Tod. Mein Puls erreicht den Höchstwert des zweiten Aufzugs.
7) 2. Aufzug, Takt 646. Im größten Jubel verlangt Wagner ab hier vom Orchester, nur forte zu spielen, nicht fortissimo (also nur „laut“, nicht „sehr laut“). Das zu beachten ist wichtig, denn sonst wäre „Groß Glück und Heil lacht nun dem Rhein“ vom Chor nicht zu hören. Daher dirigiere ich die folgenden Takte ziemlich reduziert und klein, das führt zu einem plötzlichen Pulsabfall.
8a) 2. Aufzug, Takt 744. Der Beckenschlag leitet den Höhepunkt ein: Brünnhilde und Gunther werden empfangen. Der sogenannte Dominant-Septakkord wird in der musiktheoretischen Literatur häufig als Spannungsklang beschrieben, der sich in die Tonika auflöst. Höchste Spannung, scheinbar unendlich lang: hier wird’s Ereignis.
8b) 2. Aufzug, Takt 758. Der Höhepunkt der B-Dur-Auflösung, der Tonika: fortissimo mit tenoralem Glanz.
9) 2. Aufzug, Takt 1303. Eigentlich sind wir hier bereits in der Überleitung zur fünften Szene. Aber vielleicht bin ich emotional vom vorhergehenden Gefühlschaos auf der Bühne (Brünnhilde, eigentlich Siegfrieds Frau, sollte mit Gunther verheiratet werden) noch so ergriffen, dass jetzt, sozusagen eine halbe Minute zu spät, mein Herzschlag seinen Höhepunkt erreicht. Danach befinden wir uns in der trügerischen Ruhe vor dem Schluss-Sturm des zweiten Aufzugs: Hagen entlockt Brünnhilde das Geheimnis, wo Siegfried verwundbar ist, am Rücken nämlich.
10) 2. Aufzug, Takt 1561. „Siegfried falle, zur Sühne für sich und euch!“: Brünnhilde beschließt Siegfrieds Tod. Mein Puls erreicht den Höchstwert des zweiten Aufzugs.
Pause vor dem 3. Aufzug

11) In der Pause vor dem dritten Aufzug proben wir traditionell immer noch einmal Teile aus der Rheintöchter-Szene mit Klavier. Meistens überlässt der Dirigent diese Probe einem Assistenten, um die Pausenzeit zur eigenen Erholung zu nutzen, aber ich bin jedes Mal dabei gewesen, da mich der Gesang der Rheintöchter erfrischt.
3. Aufzug

12) 3. Aufzug, Takt 20. Nach den frischen Einleitungstakten, in denen Hörner aus unterschiedlichen Richtungen erklingen, wird alles ganz ruhig: Wir hören das Motiv des Rheingold-Anfangs in F-Dur.
13) 3. Aufzug, Takte 848 bis 851. Hagen ermordet Siegfried. Mein Puls ist am höchsten in der Generalpause, nachdem die Mannen „Was tatest du!“ gesungen haben. In dieser Stille höre ich mein Herz immer pochen.
14) 3. Aufzug, Takt 966. In Siegfrieds Trauermarsch, einer der ergreifendsten Stellen im gesamten Ring des Nibelungen, erklingt das Siegfried-Motiv, gespielt von erster und zweiter Trompete; darunter die unerbittlichen Zweiunddreißigstel-Noten der zweiten Violinen und Bratschen.
15) 3. Aufzug, der allerletzte Takt. Interessanterweise habe ich hier den ruhigsten Puls des gesamten Abends: 89. Der Friede, der aus diesem Des-Dur-Schluss in die Welt gesandt wird, und die Hoffnung haben auch mich erfasst. Beim Applaus, den die Solist*innen, die Kinderstatisterie, das Staatsorchester und ich gemeinsam auf der Bühne empfangen, steigt mein Puls wieder auf knapp 140.
13) 3. Aufzug, Takte 848 bis 851. Hagen ermordet Siegfried. Mein Puls ist am höchsten in der Generalpause, nachdem die Mannen „Was tatest du!“ gesungen haben. In dieser Stille höre ich mein Herz immer pochen.
14) 3. Aufzug, Takt 966. In Siegfrieds Trauermarsch, einer der ergreifendsten Stellen im gesamten Ring des Nibelungen, erklingt das Siegfried-Motiv, gespielt von erster und zweiter Trompete; darunter die unerbittlichen Zweiunddreißigstel-Noten der zweiten Violinen und Bratschen.
15) 3. Aufzug, der allerletzte Takt. Interessanterweise habe ich hier den ruhigsten Puls des gesamten Abends: 89. Der Friede, der aus diesem Des-Dur-Schluss in die Welt gesandt wird, und die Hoffnung haben auch mich erfasst. Beim Applaus, den die Solist*innen, die Kinderstatisterie, das Staatsorchester und ich gemeinsam auf der Bühne empfangen, steigt mein Puls wieder auf knapp 140.
Der Heimweg

16) Gegen den Puls beim Fahrradfahren kommt ein Götterdämmerung-Dirigat allerdings nicht an: In den zehn Minuten von der Oper nach Hause den Berg hoch erreiche ich nachts um elf Uhr eine Herzfrequenz von 171. Danach zwei große Schalen Schokomüsli, ein paar Blitzschach-Onlinepartien, und ab ins Bett, um am nächsten Morgen um 8:30 Uhr wieder in der Oper zu sein.