Casanova und die Goldenen Zwanziger

Natürlich: In den 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts war der historische Giacomo Casanova bereits über 200 Jahre tot – doch wurde er auf höchst originelle Weise „wiederbelebt“. Benedikt von Bernsdorff erzählt hier, wie Erik Charell mit einer Operette ganz Berlin ausflippen ließ – und sinniert darüber, ob sich der vielleicht größte Liebhaber der Geschichte in unserer Zeit zurechtfinden würde.
1924 hatte Impresario Max Reinhardt einem gelernten Tänzer die künstlerische Leitung des Großen Schauspielhauses in Berlin übertragen, Erik Charell. Er sorgte als Regisseur und Produzent 1928 für ein spektakuläres Highlight der Goldenen Zwanziger im babylonischen Berlin: die Uraufführung von Casanova. Sie war der Auftakt zu einer Trilogie in der neuen Gattung der historischen Revue-Operette, die mit Die drei Musketiere und dem legendären Weißen Rössl fortgesetzt wurde. In diesem Genre mischten sich Elemente der amerikanischen Entertainmentkultur mit dem gar nicht prüden Geist der Weimarer Republik und der vom kongenialen Ralph Benatzky jazzig aufgefrischten Tradition der Kompositionen Johann Strauss’ und Franz Lehárs.
Innenansicht des Großen Schauspielhauses Berlin: Deckenansicht und Stützen (Foto: Architekturmuseum TU Berlin)
Die Nachwelt hat Giacomo Casanova, der in seinem abenteuerlichen Leben als Erfinder, Alchemist, Glücksspieler und (zeitweise inhaftierter) Betrüger hervortrat, vor allem als Liebhaber in Erinnerung. Sein Name gilt bis heute als Synonym für „Frauenheld“. Aber was würde er von unserer Gegenwart halten? Die im Berliner Party-Hedonismus zelebrierte Sex Positivity wäre ihm wahrscheinlich zu unpoetisch, das anspruchsvolle Konzept der Polyamorie käme ihm bürokratisch vor. Umgekehrt: Würde man ihm heute eine amourös-narzisstische Persönlichkeitsstruktur diagnostizieren oder ihn als Protagonisten der Mee-too-Debatte behandeln? Es ist jedenfalls eine schöne Ironie, dass der bekannteste heterosexuelle Verführer der Kulturgeschichte vom homosexuellen Erik Charell wiederbelebt wurde.

Die in Bewegung geratenen Rollenbilder und Sexualitäten der 1920er-Jahre sind an dieser reizvollen Operette nicht spurlos vorübergegangen: Selbstbewusste Frauenfiguren treffen auf einen überraschend seelenvollen Casanova, der die Erfahrung einer versagten Liebe erleiden muss. Marco Štormans Stuttgarter Neuinszenierung verspricht eine großräumige Bestandsaufnahme dieser Themen.
Benedikt von Bernstorff
Dieser Beitrag erschien zunächst in der zweiten Ausgabe der Spielzeit 2024/25 von Reihe 5, dem Magazin der Staatstheater Stuttgart.
Headerbild: Zuschauerraum des Großen Schauspielhauses Berlin: Innenansicht während der Bauphase (Foto: Architekturmuseum der TU Berlin)

Casanova

Dez 2024
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So
22
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Opernhaus
Premiere
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Sa
28
19:00 – 21:00
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Mo
30
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Jan 2025
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Fr
3
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Di
7
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