„Da fing meine gute Zeit hier an!“

Andreas Greb und Ilse Rucki stehen in „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in der Statisterie auf der Bühne. Im Foto oben sind sie in lila Kleid bzw. weißem Netzoberteil mit Pelzmantel gemeinsam mit ihren Statisterie-Kolleg*innen zu sehen. Wir haben mit ihnen über ihren Werdegang auf der Bühne des Opernhauses, Nacktheit und dekoratives Sterben auf der Bühne gesprochen.
Was begeistert euch an der Statisterie? Warum habt ihr euch für diesen besonderen Job entschieden?
Ilse: Musiktheater war immer meine Leidenschaft! Auch wenn ich gern als Statistin im Schauspiel und im Ballett bin und war. Aber gib mir eine Tosca – da bin ich am Ende gebügelt, wenn alle tot sind! Musik berührt einfach oft so unmittelbar, Elektra ist dafür auch ein gutes Beispiel. Wenn dann auch noch die Inszenierung gut ist – dann ist das für mich ein guter Tag.

Andreas: Einstein hat einen wunderschönen Satz gesagt: „Die Logik bringt dich von A nach B, die Phantasie bringt dich überall hin.“

I: Da hat er Recht!

A: Ja, das können wir unterschreiben. In diesem Sinne hat mich Kunst und Theater immer fasziniert. Ich stehe auch außerhalb der Staatstheater gern auf der Bühne, halte Vernissage- und Trauerreden. Ich genieße es, Rollen zu spielen! Außerdem bin ich ein sehr neugieriger Mensch. Zu sehen, was hier am Theater hinter den Kulissen abläuft, und wie die Menschen hier ticken, das hat mich wahnsinnig interessiert. Ich erinnere mich noch an die Probenphase kurz vor der Premiere letztes Jahr: Wir haben gerade die Applausordnung geprobt. Da kam Ida Ränzlöv, eine der Solistinnen, zu uns und fragte: „Ihr wart nur einmal zum Applaus auf der Bühne, oder?“ Nachdem wir das bejaht haben, ging sie weg, kam wieder, und sagte dann: „Ihr geht zwei Mal auf die Bühne!“ Uff! Als Statist bist du ganz unten in der Nahrungskette. Aber dann so eine Wertschätzung zu bekommen – wow!

I: Diese Wertschätzung ist wirklich toll! Ich lebe mittlerweile alleine. Hier im Opernhaus zu sein, das ist meine Ersatzfamilie. Hier werde ich in die Arme genommen, ich habe das Gefühl der Zugehörigkeit. Außerdem weiß ich, dass ich jedes Mal etwas erlebe, wenn ich hierher komme. Erst an den Herausforderungen, die hier an mich gestellt werden, merke ich, was in mir steckt. Das ist ein sehr schönes Gefühl!
Wie und wann habt ihr hier als Statist*in angefangen?
A: Ich bin erst mit Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny zur Statisterie gekommen. Ich war schon Statist im Theaterhaus, bei Tanzvorstellungen – einmal sogar auf Tournee in Tel Aviv! Wir Statisten stellten eine Gesellschaft dar, ohne Tanz.

I: Ich habe mit 18 Jahren als Statistin in Gelsenkirchen angefangen, im Musiktheater im Revier. Mein späterer Mann hat mir einen Statisten-Part bei der Fledermaus als Geschenk zur Verlobung organisiert. Ich habe dann dort auch noch weitere Produktionen gemacht, auch in der Tanz-Sparte stand ich immer wieder mit auf der Bühne – ich war ja klein und zierlich. Drei Jahre später, 1969, sind wir nach Stuttgart gezogen, haben uns aber am Anfang sehr schwer getan, mit den Schwaben warm zu werden. Nur morgens in der Apotheke arbeiten, abends mit meinem Mann zusammensein – das war mir dann einfach zu wenig. Ich wollte mehr erleben!

Also bin ich einfach mal an die Opernpforte gegangen und habe gefragt, wer hier die Statisterie leitet. Der Pförtner fragte mich in tiefstem Schwäbisch: „Was wellet Sie?“ und hat mich dann ganz freundlich an Frau Götz verwiesen, die damals die Statisterie leitete. Ich habe mich also mit allen Daten (Alter, Konfektionsgröße, Bühnenerfahrung) beworben, drei Tage später kam dann auch schon der erste Anruf. Eine andere Statistin, die dieselbe Größe hatte wie ich, hatte eben erst aufgehört. Also habe ich einfach ihre Kostüme angezogen, und war direkt im Troubadour, in der Bohème, im Ballett und Schauspiel beschäftigt. Proben gab es keine mehr – aber das ging zum Glück ganz gut. Wobei ich sagen muss, dass der Job mittlerweile auch anspruchsvoller geworden ist. Über die Statisterie hier ergaben sich dann tatsächlich meine ersten Stuttgarter Freundschaften, der Gatte hat sich drangehängt – da fing meine gute Zeit hier an!
Was macht ihr, wenn ihr nicht als Statist*in bei uns auf der Bühne bzw. Probebühne steht?
A: Ich habe einen zweieinhalb-jährigen Enkel, der mich wunderbar beschäftigt! Außerdem bin ich in einem kleinen Race-Team, Offroad-Racing. Wir fahren zur Rallye Dakar, nach Marokko ... Wir fahren in den Wüsten der ganzen Welt. Immer wieder organisiere ich auch als Kurator Ausstellungen, in einer stillgelegten Kirche in Göppingen.

I: Jeden Morgen bin ich im Büro, bei einem Steuerberater. Dort bin ich für die Ablage, das Telefon, die Kund*innen etc. zuständig ... Den ganzen Kleinkram eben. Das sind jeden Tag nur drei Stunden, aber dadurch ist die Woche strukturiert und ich kriege meinen Hintern aus dem Bett. Wenn ich frei habe, arbeite ich in meinem Garten. Zurzeit pflanze ich wie eine Blöde – das macht mich einfach glücklich!
Am 9. Mai ist die letzte Vorstellung der Saison von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Was sind da eure Aufgaben?
I: Wir rocken die Foyers: Mit weltabgewandtem Blick, extrem geschminkt und mit schrillem Fummel laufen wir direkt vor der Vorstellung sehr ruhig und ganz still durch die Foyers und schauen uns die Leute an.

A: Das war auch eine witzige Geschichte: Bei der Anprobe hatten wir verschiedene Klamotten und Schuhe, die wir anziehen konnten. Ich habe Verschiedenes probiert, wurde gefragt, worin ich mich wohl fühle. Meine Rückfrage war nur: „Sehe ich bekloppt genug aus?“ (lacht)

I: Wir hatten es ja vorhin davon, was wir in uns neu entdecken durch den Job hier. Bei mir ist das natürlich auch die Lust am Verkleiden – der komme ich hier nach.
Andreas Greb mit Statisten-Kollege Michael Brodbeck im Foyer, der Blick bereits ganz in der Rolle. Foto: Martin Sigmund
I: Aber zurück in die Foyers: Manchmal stellen wir die Frage, leise raunend: „Waren Sie schon in Benares?“ Die Leute sind dann so irritiert! (lacht) Wenn dann Einlass war, flitzen wir in unsere Garderoben und bereiten uns auf unsere nächste Szene vor: Wir werden auf einem Podest mit zwei goldenen Kälbern auf die Bühne geschoben, sind nackt und gut ausgeleuchtet. Aber da danke ich Regisseurin Ulrike Schwab heute noch, wie sie das umgesetzt hat und mit uns umgegangen ist! Es gibt nichts Voyeuristisches hinter oder auf der Bühne. Wir dürfen uns die Sitzposition selbst aussuchen, können also das ein oder andere verstecken. Trotzdem: Das Nacktsein auf der Bühne ist mir schwer gefallen! Ich bin meinem Körper gar nicht böse, messe mich aber immer noch am Ideal des schlanken Körpers. Mich mit meinem gealterten Körper öffentlich zu zeigen, kostet mich jedes Mal eine kleine Überwindung. Was mir Mut gemacht hat: Dass fast alle anderen Statisten einen Körper haben wie Andreas und ich – und die haben meines Wissens kein Problem damit. Vielleicht bin ich die einzige, die diesen Vogel hat.

A: Mir ging es anfangs ähnlich. Während der Proben ist man ja angezogen. Das erste Mal dann nackt bei der Probe, das war schon – ups, da muss man sich dran gewöhnen! Die Kollegen von der Bühnentechnik, die uns auf die Bühne ziehen auf dem Podest, die sind ja auch nah dran.

I: Wobei die sehr sachlich damit umgehen. Jeder schaut, dass wir uns nicht ausgesetzt fühlen. Das gilt für alle Kollegen.

A: Dieses Gefühl, nackt auf der Bühne zu sitzen, das war bei mir nach zehn Minuten dann auch vorbei.
Und was macht ihr nackt auf der Bühne?
I: Wir essen zermatschte Nudeln mit Wassermelonensaft – dadurch sieht das ganze blutig aus. Unsere Hände sind außerdem rot angemalt, als hätten wir die goldenen Kälber gerade erst ausgeweidet.

A: Völlerei!

I: Das ist eigentlich der Höhepunkt unseres Auftritts.

A: Dann haben wir noch ein paar kleinere Aufgaben, sind beim Tribunal dabei, tragen einen Getöteten von der Bühne, führen den Verurteilten ab ... Ansonsten bleibt unsere Aufgabe: höchst dekorativ im Bild stehen, und am Ende dekorativ sterben.
Wie macht man das?
I: Man fällt auf die Knie, dann auf die Seite, und dann ist man mausetot.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Apr 2025
https://www.staatsoperstuttgart.de Staatsoper Stuttgart Oberer Schloßgarten 6, 70173 Stuttgart

Mi
16
19:00 – 21:45
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Sa
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Di
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Sa
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Di
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Mai 2025
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Fr
9
19:00 – 21:45
Opernhaus
8 / 18,50 / - / - / 58 / 72 / 90 / 108 / 126 €
Besetzung