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22.10.2020 Interview mit Regisseur David Hermann
Regisseur David Hermann über "Das Lied von der Erde"
Am 27. Oktober feiert die Inszenierung von Mahlers Symphonie - gekoppelt mit Elfriede Jelineks Prosatext "Die Bienenkönige" - Premiere im Opernhaus. Ein Gespräch mit dem Regisseur David Hermann über die beiden Stücke und ihre (gemeinsame) Wirkung.
Gustav Mahler war ja nicht nur Dirigent und Komponist, er war auch Direktor der Wiener Hofoper und als solcher ein Wegbereiter der modernen Opernregie. Spielt das eine Rolle für dich?
David Hermann: Ich habe mich schon häufig gefragt, warum Mahler nichts für das Musiktheater komponiert hat. Er hat sich ja wirklich intensiv mit diesem Genre auseinandergesetzt und durchaus Maßstäbe gesetzt, was die Aufführungspraxis vor allem auch im Bereich der Inszenierung angeht. Ehrlich gesagt hatte ich schon lange die etwas utopische Idee, einmal eine szenische Arbeit mit Musik von Mahler zu machen. Auch seine symphonischen Kompositionen sind ja sehr theatralisch, zum Teil mit Gesangsstimmen, mit Vorgängen und Entwicklungen. Eigentlich habe ich nur auf den Moment gewartet...
Inszenieren heißt ja im Grunde genommen etwas in den Raum setzen. Ist diese eher vage, unkonkrete Lyrik schwieriger in den Raum zu setzen als eine Oper?
Auf der einen Seite ist es schwerer, auf der anderen aber auch einfacher. Schwerer, weil man eher situativ arbeiten muss und nicht in erster Linie Handlung inszenieren kann. Gleichzeitig ist das Situative in Zusammenhang mit dieser Musik in einem theatralen Kontext sehr interessant: Da sie keine Handlung oder Narration transportieren muss, ist die Musik wesentlich freier. Sie ist ganz bei sich selbst. Und sie schafft Emotionalitäten oder Klangräume, die man wiederum an Situationen anbinden kann. Im Grunde genommen ist das dann nicht weniger stark als eine Handlungsoper. So empfinde ich das. In unserem Fall gewinnt man vorher durch Die Bienenkönige von Jelinek Informationen, sodass man dann in Mahlers Lied von der Erde in eine Tiefenperspektive gehen kann. Ich habe den Eindruck, dass es ohne diese sprachliche Konkretisierung schwieriger wäre, sich in der Welt Mahlers zurechtzufinden. Man wüsste nicht, wo man ist und wer die da auf der Bühne sind.
Das heißt: der Jelinektext liefert schon mal eine sehr konkrete Situation, in der die Mahlermusik sich dann entfalten kann.
Genau. Die kann dann die emotionale Tiefenschärfe dazugeben, sie kann aber auch in den Widerspruch gehen. Sie bleibt in jedem Fall autonom. Beide Werke stehen nebeneinander und bauen eine Verbindung auf, werden aber nicht miteinander verschliffen. Das finde ich wichtig.
Würdest Du sagen, das ist ein Abend? Oder ist er zweiteilig? Oder sogar dreiteilig?
Von der Gesamtkomposition sehe ich das schon als einen Abend, dessen Teile sich auch wirklich bedingen. Aber es gibt schon eine spürbare Dreiteiligkeit. Oder besser gesagt: Es gibt drei Phasen, mit Kreisbewegungen und Entwicklungen, auf jeden Fall ist man am Ende doch ziemlich woanders als zu Beginn des Abends.
Beide Stücke werden in der Kombination tatsächlich zu Gegen-Stücken. Man hat eine polyperspektivische Erzählung, die zu einem Monolog wird. Auf der anderen Seite hat man Texte, die eigentlich von einem Lyrischen Ich gesprochen und nun auf verschiedene Figuren aufgeteilt werden. Wie ist es, wenn diese sehr konkrete Erzählung von Jelinek auf die ja doch eher unkonkrete Poesie trifft?
Ich würde sagen, der Jelinektext setzt einem eine Brille auf, durch die man den Mahler dann vielleicht nicht anders hört, aber anders sehen kann. Der Mahler wird nicht ein Teil der Welt der Bienenkönige. Seine Tiefenschwingungen bleiben erhalten und er geht auch über die Situation der Bienenkönige hinaus. Wir kriegen zwar relativ konkrete Startinformationen, aber dann biegt das doch in ganz verschiedene Richtungen ab. Die Zustände der Einsamkeit, der Isolation, der Ausweglosigkeit, die Sehnsucht nach irgendeiner Verwandlung oder Erlösung, das alles liefert Mahler. Das ist bei Jelinek angelegt, kommt aber erst im Lied von der Erde.
Beide Texte haben eine gewisse Historizität. Mahler ist über 100 Jahre alt, Jelinek immerhin auch schon fast ein halbes Jahrhundert. Welches Material ist fremder?
Das ist schwer zu sagen. Der Jelinektext ist durch die Science-Fiction-Ebene nicht so weit weg von uns, er hat dieses Fantastische, das In-die-Zukunft-Projizierte. Deswegen ist er nicht so 1970er-Jahre-mäßig. Bei Mahler sind die Sprache und die Metaphern viel lyrischer, aber auch offener und allgemeiner, die Momente der Einsamkeit, der Sehnsucht nach etwas und die daraus resultierende Not sehr deutlich lesbar.
"Das Lied von der Erde" ist eigentlich für zwei Stimmen geschrieben. Wieso gibt es hier jetzt vier?
Ein Quartett lässt szenisch natürlich mehr Konstellationen zu. Das gibt mehr Möglichkeiten, gerade bei einem Stück, dem nicht unbedingt eine Handlung eingeschrieben ist. Aber abgesehen davon findet man in den Texten durchaus verschiedene Haltungen und Positionen – und das nicht erst im Abschied, wo das ja ganz deutlich ist. Und diese Haltungen und Perspektiven stärker aufzuspalten macht die dramatischen Qualitäten noch plastischer.
Foto: Matthias Baus
David Hermann: Ich habe mich schon häufig gefragt, warum Mahler nichts für das Musiktheater komponiert hat. Er hat sich ja wirklich intensiv mit diesem Genre auseinandergesetzt und durchaus Maßstäbe gesetzt, was die Aufführungspraxis vor allem auch im Bereich der Inszenierung angeht. Ehrlich gesagt hatte ich schon lange die etwas utopische Idee, einmal eine szenische Arbeit mit Musik von Mahler zu machen. Auch seine symphonischen Kompositionen sind ja sehr theatralisch, zum Teil mit Gesangsstimmen, mit Vorgängen und Entwicklungen. Eigentlich habe ich nur auf den Moment gewartet...
Inszenieren heißt ja im Grunde genommen etwas in den Raum setzen. Ist diese eher vage, unkonkrete Lyrik schwieriger in den Raum zu setzen als eine Oper?
Auf der einen Seite ist es schwerer, auf der anderen aber auch einfacher. Schwerer, weil man eher situativ arbeiten muss und nicht in erster Linie Handlung inszenieren kann. Gleichzeitig ist das Situative in Zusammenhang mit dieser Musik in einem theatralen Kontext sehr interessant: Da sie keine Handlung oder Narration transportieren muss, ist die Musik wesentlich freier. Sie ist ganz bei sich selbst. Und sie schafft Emotionalitäten oder Klangräume, die man wiederum an Situationen anbinden kann. Im Grunde genommen ist das dann nicht weniger stark als eine Handlungsoper. So empfinde ich das. In unserem Fall gewinnt man vorher durch Die Bienenkönige von Jelinek Informationen, sodass man dann in Mahlers Lied von der Erde in eine Tiefenperspektive gehen kann. Ich habe den Eindruck, dass es ohne diese sprachliche Konkretisierung schwieriger wäre, sich in der Welt Mahlers zurechtzufinden. Man wüsste nicht, wo man ist und wer die da auf der Bühne sind.
Das heißt: der Jelinektext liefert schon mal eine sehr konkrete Situation, in der die Mahlermusik sich dann entfalten kann.
Genau. Die kann dann die emotionale Tiefenschärfe dazugeben, sie kann aber auch in den Widerspruch gehen. Sie bleibt in jedem Fall autonom. Beide Werke stehen nebeneinander und bauen eine Verbindung auf, werden aber nicht miteinander verschliffen. Das finde ich wichtig.
Würdest Du sagen, das ist ein Abend? Oder ist er zweiteilig? Oder sogar dreiteilig?
Von der Gesamtkomposition sehe ich das schon als einen Abend, dessen Teile sich auch wirklich bedingen. Aber es gibt schon eine spürbare Dreiteiligkeit. Oder besser gesagt: Es gibt drei Phasen, mit Kreisbewegungen und Entwicklungen, auf jeden Fall ist man am Ende doch ziemlich woanders als zu Beginn des Abends.
Beide Stücke werden in der Kombination tatsächlich zu Gegen-Stücken. Man hat eine polyperspektivische Erzählung, die zu einem Monolog wird. Auf der anderen Seite hat man Texte, die eigentlich von einem Lyrischen Ich gesprochen und nun auf verschiedene Figuren aufgeteilt werden. Wie ist es, wenn diese sehr konkrete Erzählung von Jelinek auf die ja doch eher unkonkrete Poesie trifft?
Ich würde sagen, der Jelinektext setzt einem eine Brille auf, durch die man den Mahler dann vielleicht nicht anders hört, aber anders sehen kann. Der Mahler wird nicht ein Teil der Welt der Bienenkönige. Seine Tiefenschwingungen bleiben erhalten und er geht auch über die Situation der Bienenkönige hinaus. Wir kriegen zwar relativ konkrete Startinformationen, aber dann biegt das doch in ganz verschiedene Richtungen ab. Die Zustände der Einsamkeit, der Isolation, der Ausweglosigkeit, die Sehnsucht nach irgendeiner Verwandlung oder Erlösung, das alles liefert Mahler. Das ist bei Jelinek angelegt, kommt aber erst im Lied von der Erde.
Beide Texte haben eine gewisse Historizität. Mahler ist über 100 Jahre alt, Jelinek immerhin auch schon fast ein halbes Jahrhundert. Welches Material ist fremder?
Das ist schwer zu sagen. Der Jelinektext ist durch die Science-Fiction-Ebene nicht so weit weg von uns, er hat dieses Fantastische, das In-die-Zukunft-Projizierte. Deswegen ist er nicht so 1970er-Jahre-mäßig. Bei Mahler sind die Sprache und die Metaphern viel lyrischer, aber auch offener und allgemeiner, die Momente der Einsamkeit, der Sehnsucht nach etwas und die daraus resultierende Not sehr deutlich lesbar.
"Das Lied von der Erde" ist eigentlich für zwei Stimmen geschrieben. Wieso gibt es hier jetzt vier?
Ein Quartett lässt szenisch natürlich mehr Konstellationen zu. Das gibt mehr Möglichkeiten, gerade bei einem Stück, dem nicht unbedingt eine Handlung eingeschrieben ist. Aber abgesehen davon findet man in den Texten durchaus verschiedene Haltungen und Positionen – und das nicht erst im Abschied, wo das ja ganz deutlich ist. Und diese Haltungen und Perspektiven stärker aufzuspalten macht die dramatischen Qualitäten noch plastischer.
Foto: Matthias Baus