Es ist das großartigste Opernorchester, in dem ich je spielen durfte

27 Jahre lang war Ulrich Hermann Solo-Fagottist im Staatsorchester Stuttgart. Eine lange Zeit im Graben des Opernhauses und auf der Bühne der Liederhalle, die mit der Vorstellung von „Mayerling“ beim Stuttgarter Ballett am vergangenen Sonntag zu Ende ging. Im Interview erzählt Ulrich Hermann von seinen Jahren im Orchester und berichtet von seinen Plänen in der Zukunft.
Sie waren 27 Jahre Solo-Fagottist im Staatsorchester Stuttgart. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Instrument zu erlernen bzw. zu studieren?
Schon immer hat mich der Klang des Fagottes begeistert, und diese Faszination ist bis heute geblieben. Ich war in meiner Kindheit immer musikalisch sehr aktiv, habe Klavier gespielt und in mehreren Chören gesungen; zum Fagott kam ich aber erst mit 18 Jahren. Unter anderem war es Dietmar Keller, mein damaliger Nachbar und lange selbst im Staatsorchester als Englischhornist aktiv, der mein Interesse geweckt hat. Bis zu meinem Entschluss, das Hobby zum Beruf zu machen, hat es dann noch ein wenig gedauert, denn eigentlich war ich viel zu spät dran - andere beginnen bereits mit 11 oder 12 Jahren. Nach dem Abitur wollte ich deswegen zuerst etwas „Vernünftiges“ studieren und habe mich für Jura an der Uni Tübingen eingeschrieben. Recht schnell habe ich aber festgestellt, dass ich die Musik nicht aufgeben kann und will und so kam ich an einen Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: entweder Fagott oder Rechtswissenschaften - im Nachhinein war es die einzig richtige Entscheidung. Nach meinem Studium an der HMDK Stuttgart war es dann ein Glücksfall, dass ich direkt ins Staatsorchester Stuttgart aufgenommen wurde, zunächst als Aushilfe, später festangestellt. Allein in meinem ersten Jahr hier habe ich von meinen erfahrenen Kolleg*innen ungemein viel gelernt und bis zu meinen letzten Konzerten und Vorstellungen war das Orchester immer auch ein Ort der Inspiration und des Lernens für mich, wofür ich sehr dankbar bin.
Gibt es eine Produktion oder ein Sinfoniekonzert beim Staatsorchester, an das Sie besonders gerne zurück denken?
Innerhalb von 27 Jahren sind da natürlich einige zusammen gekommen. Ein Werk, das mich allerdings über die ganze Zeit begleitet hat, war Gioachino Rossinis Barbier von Sevilla in der Inszenierung von Beat Fäh. Ich war ganz frisch an der Staatsoper, als die Produktion heraus kam und ironischerweise war es genau jene Oper, die ich als eine meiner letzten im Graben gespielt habe. Überhaupt ist Rossinis Musik toll für Fagottisten, aber auch Mozart oder Puccini. All das wird mir sehr fehlen, auch die wunderbaren großen Soli bei Tschaikowsky, Ravel oder Strawinsky. Den Spielplan des Staatsorchesters zeichnet ohnehin eine enorme Vielfalt aus – von Monteverdi über Werke unserer eigenen Hofkomponisten bis hin zu Uraufführungen – es ist alles dabei. Das breite Repertoire durch alle Epochen der Musikgeschichte ist wirklich einzigartig.
Mit ihren eigenen Kammermusik-Formationen konzertierten Sie im gesamten europäischen Raum sowie in den USA und Japan. Gibt es ein Gastspiel, das Sie in besonders guter Erinnerung haben?
Natürlich waren meine ersten Reisen noch während des Studiums sehr prägend und beeindruckend für mich. Ich erinnere mich noch besonders gut an Konzerte in den USA und in Israel. Und eine Reise, die ich sicherlich nie vergessen werde, war eine Tour durch Japan mit meinem Fagott-Ensemble anlässlich unserer neu erschienenen CD, zwei Wochen vor dem ersten Corona-Lockdown. In den Nachrichten kursierten bereits beklemmende Meldungen über steigende Corona-Zahlen sowie die geplanten Maßnahmen seitens der Politik und ich bin so froh, dass damals alle geplanten Konzerte noch stattgefunden haben in einer ungeheuer befreienden Atmosphäre, die schwer zu beschreiben ist, bevor es kurz darauf so still wurde wie noch nie zuvor. Und gerade diese wochenlange Stille eröffnete Räume und Zeit, auch über den eigenen Weg neu nachzudenken.
Ab Oktober treten Sie eine Fagottprofessur an der Hochschule für Musik und Theater in Köln an. Hat sich seit Ihrem Studium in der Lehre an den Universitäten etwas verändert?
Auf jeden Fall! Früher hatte man mehr Zeit für alles. Alleine schon das Studium hat damals zwei Semester länger gedauert. Durch den Bologna-Prozess ist alles viel schulischer geworden und man muss als Studierender innerhalb kürzester Zeit viel mehr Module absolvieren. Vor allem im künstlerischen Bereich macht Zeitdruck keinen Sinn. Glücklicherweise können wir als Professoren weitgehend selbst bestimmen, wie wir im Einzelunterricht vorgehen. Anders als in anderen Studiengängen haben wir somit noch ein bisschen mehr Spielraum. Was sich absolut zum Positiven verändert hat, sind hingegen die vielen Akademien, die mittlerweile fast alle großen Orchester anbieten. Studierende können so in renommierten Klangkörpern spielen und erhalten dort eine zusätzliche Ausbildung. Das erleichtert den Berufseinstieg ungemein – ich hoffe sehr, dass auch das Staatsorchester bald über eine attraktive Orchesterakademie verfügen wird.
Was wünschen Sie sich und dem Staatsorchester für die Zukunft?
Mir persönlich wünsche ich, dass meine Studierenden einen guten Weg nehmen und in eine Zukunft mit großem persönlichem wie auch beruflichem Erfolg blicken können. Außerdem freue ich mich auf viele schöne Konzert-Projekte wie auch die ein oder andere Vorstellung als Aushilfe beim Staatsorchester. Dem Staatsorchester wünsche ich die internationale Anerkennung und Positionierung, die es verdient. Es ist das großartigste Opernorchester, in dem ich je spielen durfte.
Robert Schumann
Fantasiestücke op. 73

Ulrich Hermann
Andrej Jussow
Sie können nicht genug von Fagott-Klängen kriegen? Zusammen mit Kensuke Ohira an der Orgel hat Ulrich Hermann eine CD produziert.