Mehr als drei Jahrzehnte war Francis Gouton im Staatsorchester engagiert und nebenher weltweit als gefragter Solo-Cellist unterwegs. Nun ist es für ihn Zeit, uns Ade zu sagen und sich neuen Dingen zu widmen. Ein Interview mit einem Mann, für den es nichts schöneres gibt, als Musiker zu sein.


Seit 1990 waren Sie erster Solo-Cellist im Staatsorchester Stuttgart. Gibt es Dinge, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
In den 32 Jahren als aktiver Profimusiker sind natürlich einige Momente zusammengekommen, an die ich mich gerne erinnere. Was ich noch sehr gut im Gedächtnis habe, ist, dass zu Beginn meiner Karriere die Probenzeiten sehr viel kürzer waren als heute. Daran muss man sich frisch aus der Musikhochschule kommend natürlich erst gewöhnen. Überhaupt bekommt man während des Studiums auch nicht gelehrt, wie ein Orchesterbetrieb unserer Größe funktioniert. Nach meiner ersten Vorstellung von Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ – damals ohne Probe – habe ich mir zum Beispiel direkt eine Brille machen lassen, weil während des Spielens meine Augen so müde wurden. Und dann erinnere ich mich sehr gerne an die Zusammenarbeit mit unserem damaligen Generalmusikdirektor Gabriele Ferro, mit dem ich bis heute befreundet bin und die Kolleginnen und Kollegen, die mich wahnsinnig herzlich bei sich aufgenommen haben.
Neben Ihrer Tätigkeit in Stuttgart traten Sie in den Musikzentren Europas, Asiens, Nord- und Südamerikas sowie Australiens auf. War das viele Reisen auch manchmal eine Herausforderung oder ausschließlich eine Freude für Sie?
Anfangs war das eine tolle Erfahrung: Ich konnte viel von der Welt sehen und dabei Musik machen. Bis heute kann ich mich nicht genug bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der Cellogruppe bedanken, die mir das ermöglicht haben. Allen voran Zoltan Paulich, ebenfalls 1. Solo-Cellist, hat mich da sehr unterstützt. Irgendwann nahm das viele Reisen aber überhand, und es wurde zunehmend anstrengend für mich. Ich erinnere mich sehr genau an ein Konzert im Sydney Opera House: Anstatt mir zu sagen, dass ich am Höhepunkt meiner Karriere angekommen bin, wollte ich in dem Moment lieber Zeit mit meinen Kindern verbringen. Ich musste mich also ab einem gewissen Punkt zwischen meiner Karriere und meiner Familie entscheiden. Und natürlich war mir Letztere wichtiger. Insofern habe ich beschlossen, weniger in Ensembles zu spielen und dadurch mehr Zeit im Staatsorchester und somit in Stuttgart bei meinen Angehörigen verbringen zu können.
In der Saison 2014/15 haben Sie mit dem Staatsorchester Stuttgart die Werke „Concertpiece for Cello and Orchestra“ von Milko Lazar und das 2. Cellokonzert von Xaver Paul Thomas uraufgeführt. Die Stücke wurden für Sie persönlich komponiert. Was hat es damit auf sich?
In meiner Laufbahn war ich stets offen für Neue Musik. Wenn man sich da seine Neugierde bewahrt, passiert es öfter, dass Komponisten auf einen zukommen und Werke für einen schreiben möchten. Xaver Paul Thomas und ich kannten uns schon einige Zeit. Ihm war also auch mein Spiel bereits bekannt und er hatte die Idee, genau auf meinen Stil zugeschnitten sein 2. Cellokonzert zu komponieren. Ich durfte dann auch beim Enstehungsprozess dabei sein, was mir große Freude bereitet hat. Ich habe einen tollen Einblick in die Arbeit eines Komponisten erhalten und konnte mir vorstellen, wie die Musikschaffenden in der Vergangenheit gearbeitet haben mussten. Auch die Werke, die wir jeden Abend in der Oper spielen, müssen so oder so ähnlich entstanden sein.
Im Jahr 1993 haben Sie den Prix Européen für Nachwuchskünstler*innen erhalten. Hat sich in der Musikbranche seit dem Beginn Ihrer Karriere bis heute etwas verändert?
Zusammen mit dem Quartett, in dem ich damals gespielt habe, wurde ich mit diesem Preis geehrt. Um ehrlich zu sein, mache ich mir nicht viel aus solchen Dingen, aber dennoch ist es schön, wenn unsere tägliche Arbeit als Musiker anerkannt wird. Natürlich hat es in den letzten Jahren einen Wandel in der klassischen Musiklandschaft gegeben. Aber das haben sicher auch meine Kolleginnen und Kollegen vor 30 Jahren schon gesagt, als ich als Franzose in eine fremde Stadt gezogen bin und im Staatsorchester meine Stelle angetreten habe. Die Welt ändert sich immer. Definitiv ist sie aber offener geworden. Das zeigt sich zum Beispiel an den Musikhochschulen, wo mittlerweile viele ausländische Studierende ihre Ausbildung beginnen. Auch gibt es mittlerweile viel mehr Frauen in den Profiorchestern. Eine weitere Sache, die ich in den vergangenen Jahren wahrgenommen habe, ist die zunehmende Disziplin. Das geht zwar teilweise auf Kosten der Atmosphäre in den Klangkörpern, aber das Niveau ist dafür definitiv gestiegen – beides meine ich völlig wertfrei.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Auch wenn ich meinen Abschied vom Staatsorchester Stuttgart als Solo-Cellist feiere, habe ich immer noch gute zehn Jahre bis zu meiner Pension. Diese verbringe ich als Professor an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Meinen Studierenden dort sowie all meinen Kolleginnen und Kollegen und mir selbst wünsche ich, dass uns nie die Freude am Musizieren vergeht. Das erfordert einiges an Disziplin und körperlicher Fitness, eigentlich kann man das Leben als Profimusiker mit Leistungssport vergleichen. Dennoch ist es der schönste Beruf, den man sich wünschen kann.