Vivaldis stärkste Heldin

Manchmal steht die Welt Kopf: In Antonio Vivaldis barockem, überbordend farbenreichen „Oratorium sacrum militare” Juditha triumphans überwindet eine eigentlich chancenlose, aber kompromisslose Kämpferin die Übermacht eines feindlichen Feldherrn. Mit der Enthauptung des Holofernes rettet Judith aber nicht nur ihr Volk – sie schüttelt je nach Interpretation auch ein symbolisches Joch ab, das sie in einen festen Rahmen von Weiblichkeit einschreibt. Über die Fülle der Bilder, politische Motive und einen Pakt zwischen Maskulinität und Femininität sprach Dramaturg Franz-Erdmann Meyer-Herder FEMH mit Regisseurin Silvia Costa SC.

FEMH     Die Geschichte von Judith und Holofernes blickt seit dem 1. Jh.v.Chr. auf eine lange Rezeption zurück. Es gibt eine reichhaltige Ikonographie, der Stoff wurde unzählige Male literarisch rezipiert, das Theater interessiert sich immer wieder für sie. Wer ist Judith?

SC     In der ersten Auseinandersetzung mit der Ikonographie der Judith-Darstellungen war ich wirklich beeindruckt davon, dass sie jedes Mal mit anderem Gesicht erscheint, mit einem anderen Charakter, jeweils in einem anderen regionalen Stil dargestellt. Diese Metamorphosen, die unterschiedlichen Beweggründe, aus denen Judith repräsentiert worden ist, haben mich fasziniert. Natürlich gibt es dabei eine Kontroverse, die mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau zu tun hat – zwei Worte, zwei Mächte, die konkurrieren, gegeneinander „kämpfen”. Die Geschichte Judiths repräsentiert für mich immer noch einen Kampf, aber auch ein unbekanntes Universum des Femininen. Frauen erscheinen sonst als Unterworfene, Judith erzählt von einer Art „Befreiung”. In der Geschichte findet man immer wieder Beispiele für vergleichbare Anstrengungen, wie Judith aus dem Rahmen zu treten, in den man hineingeschrieben worden ist. Das ist ein Bruch, eine Kraft, die stets aufrechterhalten werden muss. Ich möchte aber nicht alleine der bestehenden Reihe ein weiteres Gesicht hinzufügen. Deswegen spielt in dieser Produktion die Gruppe eine so wichtige Rolle. Das hat mit der Besetzung zu tun, aber auch mit meinem Zugang zum Stück. Im Fall von Vivaldis Juditha triumphans gibt es natürlich historische Gründe dafür, dass alle Rollen von Frauen ausgeführt wurden und auch der Chor rein weiblich besetzt war. Ich sehe darin wiederum die Gelegenheit, Judith nicht als einzelne Figur zu entwickeln, sondern als Kraft, als Energie, die alle Frauen der Gruppe auf der Bühne haben.

Judith mit dem Kopf des Holofernes – Matteo Di Giovanni
FEMH     In der Vorbereitung ging es darum, mithilfe einer Fülle von Darstellungsformen einen Zugriff auf dieses Stück zu finden. Die Judith-Darstellung Artemisia Gentileschis von 1620 spielt dabei aber eine besondere Rolle. Kannst du beschreiben, was an dieser Repräsentation des Mythos anders ist und wie es sich in eine Fragestellung dieser Produktion übersetzen lässt?

SC     Ihre Biographie spielt da natürlich mit hinein: Sie wurde als junge Frau vergewaltigt und ihre Art der Darstellung trägt Züge einer Vergeltung. Es geht aber auch um Befreiung. Mich interessiert am stärksten eine damit zusammenhängende Besonderheit im Vergleich zu anderen Darstellungen. Es gibt Judith als ganze Figur, mit Holofernes’ Kopf in der Hand, nackte Judiths. In Gentileschis Gemälde sieht man nun, glaube ich, einen besonderen Blick auf Judiths Handlung an Holofernes, ein Aufgehen des Aktes in einer Energie, die eine ganze Gruppe wie unser Frauenkollektiv in Juditha triumphans teilen könnte. Judith scheint im Vergleich zu anderen mit ähnlichen Handlungen assoziierten Figuren, wie zum Beispiel Salome, stärker maskulin konnotiert: Ihre Motive sind nicht psychologisch, sie ist auf einer politischen Mission. Es geht darum, zu tun, was für die Befreiung zu tun ist. Die erste Hälfte des Abends zeigt den Weg der Frauen zur Aktion: Sie müssen dafür zunächst trainieren, sich vorbereiten. Dass die erste Assoziation dazu eine militärische und maskuline ist, hat mit Strenge und Disziplin zu tun, aber auch mit der Gefahr, die im Gefecht droht. Als Symbol möchte ich das Militärische aber umdeuten und poetisieren: Es wird um Reflexionen über das Geben und Nehmen von Leben gehen, um Geburt und Tod, um die Kunst des Arbeitens, und nicht zuletzt um eine feminine Attribuierung dieser Symbole und Handlungen – auch nähren und pflegen zu können, zu gebären. Holofernes’ Arme und sein Kopf sehen in Gentileschis Gemälde aus wie die Schenkel einer Gebärenden. Diese Form der Darstellung birgt unterschiedliche Interpretationen von Weiblichkeit: Leben hervorbringen wie es auch wieder beenden zu können. Diese Elemente nehmen wir und bringen sie durcheinander: Gebärtraining im Militärlager, einander waschen und schmücken.

FEMH     Du hast vorhin gesagt, dass in jeder Form von Repräsentation etwas außerhalb des Rahmens bleibt. So wie ich dich verstehe, geht es dir auch auf der Bühne darum, Grenzen des Repräsentierbaren auszuloten. Wie würdest du deinen szenischen Zugang zu diesem Projekt beschreiben?

SC     Das steckt ja schon im Akt der Enthauptung, der etwas zerlegt, unlesbar macht: Man nimmt dem Körper das wichtigste Identitätsmerkmal, er fällt aus dem Rahmen. Im Verlauf des Stückes wird es aber auch um die Frage gehen, was im Verborgenen stattfindet und was für alle sichtbar. Indem die Enthauptung nicht in der Intimität von Holofernes’ Zelt geschieht, sondern öffentlich, als eine Art Reinigungsritual, drehen wir das Verhältnis um. Holofernes wird zu einer Art Sündenbock, etwas, das zum Guten der Gemeinschaft als Sühneopfer ausgestoßen wird. Das kennen wir durchaus aus der Geschichte als „Lektion”, die öffentlich exerziert wird. Judith und Holofernes stammen in dieser Deutung aus derselben Gruppe und wir sehen bei der Enthauptung kein realistisches „So tun als ob”. Dieser Vorgang ist für die Frauengemeinschaft auf der Bühne in gleicher Art wie für uns als Publikum ein Stück Fiktion: eine rituelle Performance, ein wiederholbarer symbolischer Akt, der „nützlich” ist.
Judith mit dem Haupt des Holofernes – Lucas Cranach
FEMH     Ist Befreiung dann etwas, das mit kalkulierten Brüchen zu tun hat, dem Überschreiten von Grenzen?

SC     Wie die Heldin einer antiken Tragödie verstummt Judith nach der Vollendung ihres Werks in Vivaldis Oratorium.
Dieses Verstummen hat für mich in dem Moment etwas damit zu tun, dass sie uns einen Dienst erwiesen hat, aber eher als Öffnung, nicht als finale Lösung. In Judiths Stille entsteht für mich ein Raum, in dem die Balance zwischen den Polen des Maskulinen und Femininen diskutiert werden kann – Feindschaft verläuft hier ja deutlich entlang der Geschlechtertrennung. Judith nimmt deswegen in meiner Deutung auch nicht Holofernes’ Kopf als Trophäe mit sich fort. Sie wird vielmehr selbst der „nächste Holofernes”, nimmt ihren Platz in der Reihe ein und stellt sich für weitere Prozesse zur Verfügung. Befreiung hat natürlich einen gewissen Impetus, aber es geht dabei auch um die Übernahme von Verantwortung des*r Einzelnen: Ich muss zu dem werden, wofür ich gekämpft habe.

FEMH     Wir sprechen dabei ja nicht wirklich von einem konventionellen „Krieg der Geschlechter”. Wenn ich dich richtig verstehe, dann geht es dir um das Erkunden neuer Bereiche des Wissens und Handelns. Judith stellt meines Erachtens die Position des Weiblichen innerhalb der symbolischen Ordnung infrage, indem sie sich männlich attribuierte Verhaltensweisen aneignet, nicht?

SC     Mir gefällt ein Gedanke sehr, den der Philosoph Ivan Illich zu diesem Thema formuliert hat. Er unterscheidet im Englischen zwischen den Begriffen sex und gender. Letzteres gibt es bei ihm nur in der Grammatik, dort allerdings nicht als naturgegebene Trennung zwischen maskulinen und femininen Elementen, sondern als unterschiedliche Absicht, diese Elemente einzusetzen. Die Trennung findet immer nur in Bereichen des Problematischen statt: Sex, Politik etc. Ja, ich spreche von Weiblichkeit, denn damit ist Judith einfach ausgestattet. Und natürlich werden Kampfhandlungen, wie wir sie im Training der Frauen auf der Bühne andeuten, meist maskulin assoziiert. Aber das hat vor allem mit Pragmatismus, Effizienz und einfachen Lösungen zu tun: Wenn ich kämpfen will, dann muss ich meine Haare schneiden und Hosen tragen. Ich identifiziere mich mit dem Männlichen. Will ich aber Schönheit und Verführung verkörpern, gehe ich auf die weibliche Seite, ich schmücke mich und leuchte auf. Ich mag den Gedanken, dass auf diese Weise nicht notwendigerweise eine Trennung beider Konzepte entsteht, sondern eine Verbindungsachse, die Integration möglich macht. Ich möchte nicht behaupten, dass es um ein Umschlagen des Weiblichen in ein wie auch immer geartetes Gegenteil geht. Wir stellen ja eher das auf den Kopf, was als Klischee gilt, wir kündigen nicht die Verbindung auf.

Das Interview wurde bereits in der Staatsoper-Zeitung am 18. Januar veröffentlicht.

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