Der verschwundene Bach

Einst gehörte er zum Stadtbild. Dann wurde er gedeckelt. Mit einem Chor erinnert die Junge Oper Stuttgart an die Geschichte des Nesenbachs. Sechs
Anekdoten dazu:
Für Nesenbach – Ein Straßenoratorium zum Mitmachen hat die Junge Oper im Nord (JOiN) einen Laienchor gegründet. Susanne Hinkelbein komponierte Lieder über den Bach. Die kostenlosen Pop-up-Shows finden noch bis 10. Juli täglich um 19 Uhr in Kooperation mit dem Theater Lokstoff statt und werden gefördert von Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier lesen Sie, was es mit dem Nesenbach auf sich hat:

Um 1500 – Wie der Bach zu seinem Namen kam
Seit dem 16. Jahrhundert nennen die Stuttgarter ihn Nesenbach. Manche glauben, der Name bedeute »nasser Bach« oder »Nixenbach«. Wahrscheinlich aber besaß eine Frau namens Agnes mehrere Grundstücke am Ufer. Dieser Vorname wurde gern »Nes« abgekürzt.

1780 – Hegel und die anderen Kinder
In Heslach, wo die Kernbebauung der Stadt begann, planschten einst Kinder im Wasser. Auch der kleine Georg Wilhelm Friedrich soll sich in die Fluten gestürzt haben – bevor er ein weltberühmter Philosoph wurde. Hegel wuchs in der nahen Eberhardstraße auf. Noch viele Generationen von Kindern nach ihm erfrischten sich im rauschenden Wasser – selbst als es nicht mehr so sauber war.

1844 – Es stinkt! Deckel drauf!
Erst ist das Einleiten von Kloake und Abwasser nur nachts erlaubt, dann ganz verboten. Doch es hilft nichts: Der Bach stinkt. 1844 schreibt der Gemeinderat, »diesem Uebelstande« könne »nur wirksam begegnet werden durch die Ueberwölbung«. Im Herbst 1864 werden am Schlossgarten die ersten Deckel gesetzt. Achtzehn Jahre darauf ist der Bach, bis auf ein paar kurze Abschnitte, aus dem Stadtbild verschwunden.

1886 – Das Franzosenloch
Er hat eine Kabarettshow gesehen, reichlich getrunken, dann plumpst er in der Marktstraße 19, hinter dem Gasthaus Zur Glocke, in den Bach. Dort lag das Gewässer offen. Stundenlang irrt der junge französische Geschäftsmann in der Nacht auf Montag, den 4. Januar 1886, durch den überwölbten Bereich. Am Morgen hört ihn ein Gärtner und hilft ihm heraus. Der kleine Zugang in der Marktstraße heißt seitdem im Volksmund »Franzosenloch«.

Um 1952 – Der tapfere Frisör
Ein Frisörgeselle sieht von seinem Laden aus Kinder im Bach spielen. Er warnt sie. Anfang der Fünfzigerjahre säumen den teils offenen Kanal zwei Meter hohe Böschungen. Bei Regen steigt der Pegel plötzlich an. An diesem Tag erfassen Wassermassen einen kleinen Jungen. Der Frisör stürzt hinein, packt das Kind und lässt sich mit ihm unter der Verdolung bis in den Neckar treiben. Dort schwimmt der Held mit dem Jungen an Land.

2021 – Der Bach soll wieder ans Tageslicht
Der neue Stuttgarter Oberbürgermeister verkündet einen großen Plan: Er will die Verdolung aufreißen. »Wir brauchen mehr Wasser in der Innenstadt«, sagt Frank Nopper. Er denkt an »kleine Wasserfälle«. Viele Stuttgarter sind begeistert. Der Neckar gehört ja erst seit der Vereinigung mit Cannstatt 1905 dazu, zum wahren Wesen des historischen Stuttgart zählt nur der Nesenbach.

Dieser Beitrag erschien in der Juli-Ausgabe des Monatsmagazins Reihe 1.



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Bei den Proben zu „Nesenbach"