Anstelle der Premiere von „Juditha triumphans“

Heute hätte die Premiere von Antonio Vivaldis „Juditha triumphans“ im Opernhaus stattfinden sollen. Rund zehn Tage zuvor mussten die Endproben wegen der Corona-Krise abgebrochen werden. Einige Gedanken von Produktionsdramaturg Franz-Erdmann Meyer-Herder und Regisseurin Silvia Costa.
Wie sehr das Theater ein Ort ist, der nur wirklich lebt, wenn Menschen zusammenkommen können, wird uns in dieser Krise nur allzu schmerzhaft bewusst. Die Theater stehen leer, das öffentliche Leben ist größtenteils zum Stillstand gekommen. Eigentlich ist der Ausnahmezustand ja das Kerngeschäft des Theaters, an seinem Beispiel lassen sich größere Fragen unseres Miteinanders behandeln. Heute wollten wir eigentlich mit Ihnen im Opernhaus die Premiere von Antonio Vivaldis Juditha triumphans feiern, und auch hier geht es um den Ausnahmezustand einer Heldin, die aufs Ganze geht, der uns aber in der Zwischenzeit in ganz anderer Form erwischt hat. 

Die junge italienische Regisseurin Silvia Costa und ihr Team waren auf dem besten Weg, unter der musikalischen Leitung von Stefano Montanari einen Kraftakt auf die Bühne zu bringen, der demjenigen der biblischen Heldin Judith Tribut zollen sollte: als eine Geschichte der Befreiung eines autonomen Kollektivs von Frauen. Über mehrere Wochen probte sie mit den Solistinnen und insbesondere mit den Damen des Staatsopernchores, die sie in einer hochpoetischen Choreographie inszeniert hat, und brachte es noch zu einer Klavierhauptprobe, bei der alle originalen Elemente einer Produktion das erste Mal zusammenkommen: Kostüme, Bühnenbild, Licht und natürlich die Ausführenden. 

Normalerweise ist das der kritischste Zeitpunkt einer Produktion, weil hier die komplizierten Entscheidungen getroffen werden müssen: Was kann man noch ändern, wo muss noch gearbeitet werden, wie schafft man das in der Kürze der Zeit? Dieses Mal bedeutete es einen emotional sehr aufreibenden Abschied auf Zeit. 
Szene aus der Klavierhauptprobe: Stine Marie Fischer (Holofernes) und Rachael Wilson (Juditha) – Foto: Martin Sigmund 

Gedanken zum Premierentag von Silvia Costa aus ihrer Heimat in Treviso

An einer Neuproduktion zu arbeiten, ist wie eine andere Welt zu erschaffen.

Für eineinhalb Monate waren mein Team und ich in diesen Schaffensprozess abgetaucht.

In die Welt Vivaldis und seiner Heldin Judith.

Wir dachten zusammen mit ihr, wir bewegten uns mit ihr. Wir sahen die Dinge, auch die einfachsten und alltäglichsten, mit den Augen, die wir ihr gegeben hatten.

Nun ist die wirkliche Welt wieder in diese eingebrochen, die wir gerade schufen, und sie hat sich alles zurückgenommen.
Es gibt nichts, was mehr Dringlichkeit hätte als das, und wir mussten darauf hören. Wir mussten das Theater verlassen, um uns in unsere Wohnungen zurückzuziehen, wir mussten uns isolieren, Abschied nehmen voneinander und von Juditha, ohne zu wissen für wie lange. Ihr sagen, dass sie auf uns warten soll. Dass wir uns wiedersehen.

Heute wäre der Zeitpunkt gewesen, an dem diese Juditha triumphans auf ihr Publikum trifft, ihre wirkliche Geburt erlebt, und ich denke zurück an die Intensität der Proben, wie Tag um Tag jedes Element, das ich in meinen Notizen imaginiert, das meine Bühnenbildmitarbeiterin Maroussia Vaes auf Plänen ausgearbeitet, das Laura Dondoli in Kostümzeichnungen erfunden hatte, aus diesen Aufzeichnungen heraus Wirklichkeit wurde und Form und Sinn entwickelte. Ich denke an das Wunder, das meine Regiemitarbeiterin Rosabel Huguet Dueñas an meiner Seite vollbracht hat, damit szenische Ideen in den Körpern und Stimmen der Solistinnen konkret werden. Ich denke an Rachael Wilson, Stine Marie Fischer, Catriona Smith, Gaia Petrone und Alexandra Urquiola, an die Hingabe, die sie der Szene und ihren Figuren entgegenbrachten, an die Zweifel, die wir geteilt haben, an die Diskussionen, in denen wir gemeinsam nach dem Sinn gesucht haben, der uns antreibt, und zu dem meine Dramaturgen Franz-Erdmann Meyer-Herder und Antonio Cuenca Ruiz ihre Unterstützung und einen wachen Blick von außen beigetragen haben. Ich denke (und es berührt mich nach wie vor) an all die Damen des Chores, die sich auf die große Wette dieses Projekts eingelassen haben und die jeden Tag die langen Listen mit Choreographien, die Notizen zu Aktionen studiert haben, die Spielleiterin Anika Rutkofsky mit ihrer Hospitantin Amelie Wyss so engagiert angefertigt hat. Ich denke an die Verantwortung, die alle bereitweillig angenommen haben.

Ich denke an das Leben, das Stefano Montanari dieser Musik entlockt hat, ein Leben voller Emotionen, und die Allianz, die wir ohne viele Worte eingehen konnten, an seinen Überschwang und die Freude, mit denen er allen ein Lächeln entlockte, wie ein Atem, eine erfrischende Brise.

Ich denke ans Dunkel des Saales in den Stunden, die ich dort mit Bernd Purkrabek verbracht habe, um eine Atmosphäre mit Licht und Farben zu erfinden, und in denen ich bereits aufgeregt war, weil ich mir die Blicke des Publikums vorgestell habe, die Köpfe der Bühne zugewandt. Alles bebte schon in uns und wuchs.

Nun ist es nötig, Geduld zu haben, auf diese neue Situation zu hören, einen Nutzen aus ihr zu ziehen, dessen Form noch im Ungewissen liegt. Im Moment bleibt er dort. Ungesehen.

Eine Vision, die wir mit ganz bestimmten Augen gesehen haben, und von der wir noch nicht wissen, mit welchen Augen sie gesehen werden wird.

Aber ich schaue bestärkt und voller Stolz auf die Armee von Frauen zurück, die ich zurückgelassen habe, zu wachen, zu schützen, einzuwiegen, zu verteidigen. Um sich auf einen Kampf vorzubereiten, der beständig sein Gesicht verändert. Ich habe sie auf dem Wachtposten zurückgelassen, von dem aus sie die Zukunft sehen, in der wir uns wieder zusammenfinden.