Interview mit Dominik Schempp und Florian Kontny

Wie entsteht der Sound bei „Antigone-Tribunal"?

Bei „Antigone-Tribunal“ spielen digitale Einspieler eine ganz besondere Rolle. Verschiedene Samples wurden von den Tontechnikern Dominik Schempp und Florian Kontny aufgenommen und neu zusammengesetzt. Wie die beiden die einzelnen Töne aufgezeichneten haben, wie sie sich ins Orchester integrieren und wie die Musik klingt, die bei dieser speziellen Konstellation entsteht, lesen Sie im Interview. Die Fragen stellte Uta Schwarz.
Die Tontechnik bei diesem Stück stellte ja eine große Herausforderung für euch da. Wie fing denn die Zusammenarbeit zwischen euch und dem Komponisten Leo Dick an?

Als wir erfahren haben, dass das Stück Antigone-Tribunal von Leopold Dick neu komponiert wird, haben wir sofort Kontakt mit ihm aufgenommen. Er hat uns auch gleich im ersten Gespräch darüber informiert, dass er tontechnisch ganz eng mit uns zusammenarbeiten möchte, da es sich bei der Neukomposition nicht um eine klassische Oper mit Orchester, sondern vor allem um Musiktheater mit digitalen Einspielern handeln würde. Diese Einspieler mussten allerdings erst erstellt bzw. aufgenommen und neu zusammengesetzt werden.

Der erste Schritt waren Aufnahmen von vielen verschiedenen Musikinstrumenten. Eine Geige spielt zum Beispiel einen Ton, der separat aufgenommen wird. Dann kommt ein zweiter Ton, der ebenfalls aufgenommen wird, dann ein dritter – eventuell stärker oder schwächer oder mit und ohne Kratzen, also viele verschiedene Töne und jeder wird separat erfasst. Leo hat dann am Ende diese Töne neu zusammengesetzt und daraus ein „neues Orchester aufgestellt“ und eine neue Musik „komponiert“.

Also ein bisschen so, wie das, was man früher auf dem Keyboard selbst ausprobieren konnte?

Ja, genau so. Eigentlich kann man unterschiedliche Sample-Aufnahmen heutzutage auch kaufen. Aber bei Antigone-Tribunal ging es Leo darum, diese „Cluster“ – er hat immer von Clustern gesprochen – neu zusammen zu setzen bzw. übereinander zu legen. Er hat auch großen Wert auf ungewöhnliche Streich- oder Spieltechniken der Musiker gelegt und hat mit ihnen experimentiert. Wir bzw. der Pianist hat zum Beispiel mit Euromünzen auf den Saiten des Flügels gekratzt. Und die Streicher sollten stellenweise mit der Bogenrückseite streichen oder nur Kratzgeräusche an der Seite des Instrumentes erzeugen. Insgesamt haben wir auf diese Art und Weise mehr als 100 Töne und Samples erstellt, die aufbereitet, bearbeitet und dann Leo übergegeben wurden, der dann damit weiter experimentiert hat – immer in Rücksprache mit uns. Denn wir haben die neuen Zusammensetzungen bei uns im Saal ausprobiert, um den Klang zu testen oder zu erforschen, ob noch weitere Effekte hinzugefügt werden könnten. Schließlich kam die fertige „Komposition“ wieder zurück an uns und wir haben sie in Surround abgemischt, damit ein Kino-Sound, also ein Sound von allen Seiten und nicht nur von der Bühne her entsteht. Das war Leo für dieses Stück sehr wichtig.

Und könnt ihr diese Komposition näher beschreiben?

Ja, wie beschreibt man dieses Stück. Düstere und rhythmisch komplexe Szenen, die fast dämonisch, ja unheimlich wirken, wechseln sich ab mit tragendem, schönem Operngesang.

War diese Zusammenarbeit denn etwas Neues für euch oder ist das eher typisch für das, was ihr sonst so macht?

Nein, das ist nicht typisch. Was natürlich oft vorkommt ist, dass die Regie auf die Tontechnik zukommt, weil man auf der Bühne bestimmte Geräusche braucht, wie zum Beispiel das Schließen einer Tür oder ähnliches. Aber Einspieler, die zur Komposition gehören... Denn sie sind ja fester Bestandteil der Partitur, die von uns auch musikalisch eingespielt werden mussten. Das bedeutet entsprechende „Cues“ in den Noten, wann was kommt und den Dirigenten immer fest im Blick zu haben. Also so etwas in der Form hatten wir wirklich noch nie.

Habt ihr eure Arbeit bei diesem Stück als „künstlerischer“ oder „kreativer“ empfunden also sonst?

Wir waren quasi ein Teil des Orchesters. Wir mussten die komplexen Noten mitlesen, denn es gleicht ja kein Takt dem anderen. Man musste ständig zählen, zählen, zählen und auf den Dirigenten gucken. Zum Beispiel musste ein bestimmter Einspieler exakt auf die letzte Achtelnote gedrückt werden, damit die Musik beginnen kann und alles passt. Leo hat auch nicht nur Geräusche erstellt, sondern Musik aus unseren Samples komponiert, die exakt auf den Takt genau zu dem passen muss, was das Orchester spielt. Denn hätten wir oben einen Einspieler falsch gedrückt, hätte das das Orchester aus dem Takt bringen können. Die Tontechnik war so wichtig, wie die erste Geige im Orchester und ist ein Teil des gesamten Musikkonzeptes – das war schon eine komplett neue Erfahrung.
Ich glaube auch nicht, dass das Publikum immer merkt, was vom Orchester und was vom Band kommt. Es ist also definitiv eine musikalischere Arbeit als sonst.

Das klingt vor allem nach jede Menge Tüftelarbeit?

Absolut, vor allem bei den Sample-Aufnahmen. Es war auch technisch sehr aufwendig: Der Musiker stellt sich hin, erzeugt einen Ton, das nimmt man auf und schneidet es. Und so bekommt man jeden Ton einzeln. Der Aufwand lag vor allem in der Organisation und in der Dateibenennung.

Ach so, ich verstehe! Also zum Beispiel „Paukenschlag 1, schräg“!

Ja genau. Normalerweise sagst du bei Samples, das ist ein „A“ oder ein „As“ und dann kommt der Ton. Aber bei Leo war das durch die verschiedenen Spieltechniken, die es so zum Teil gar nicht gibt, komplexer, denn diese Töne mussten benannt, bezeichnet, irgendwie kenntlich gemacht werden.

Wie war das für die Musiker? Hat es denen Spaß gemacht?

Zum Teil. Es ist natürlich eine ungewohnte Notierung – nicht nur vom Sampling her, sondern auch im Hinblick auf die Musik in der Partitur. Es wurde mit Vierteltönen gearbeitet und ich glaube, das war für die Orchestermusiker anstrengend, aber auch herausfordernd. Ich hatte den Eindruck, dass das Sampling ihnen Spaß gemacht hat – es waren alles Musiker, die sich freiwillig gemeldet und Bock darauf hatten. Aber die Proben waren heftig. Wir können ja eigentlich Noten lesen, aber es gab Zeichen in der Partitur, die wir so noch nie gesehen hatten. Man hat so ein Grund-Musikverständnis – zum Beispiel große Einsätze kommen in der westlichen Musik meistens auf der Eins. Aber hier war alles anders und das war anstrengend – für die Musiker, aber auch für uns. Da die Einspieler ein musikalischer Teil waren, haben wir in der Partitur mitgelesen, die Takte gezählt, den Dirigenten auf dem Bildschirm verfolgt… Außerdem hatten wir viele Proben und Vorstellungen, mit der Zeit ging es immer besser. Aber die ersten Proben…

Wie oft habt ihr den Komponisten innerlich verflucht?

Da habe ich jetzt nicht mitgezählt (beide lachen). Nein, Leo ist richtig nett und cool und wir hatten einen Superkontakt. Es gab im gesamten Prozess eigentlich überhaupt keine Probleme. Auch wenn bei den Proben mal etwas nicht so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hatte, dann war er trotzdem mega entspannt, weil er selbst wusste, wie herausfordernd das für uns alle war.

Er war auch für Anregungen offen und wir haben ihm den einen oder anderen Tipp geben können.

Das ist interessant, denn man könnte ja annehmen, dass jemand der so etwas „A-Typisches“ macht, auch selbst etwas „A-typisch“ denkt.

Das ist, glaube ich, schon auch der Fall – muss er wahrscheinlich auch. Aber in der Zusammenarbeit war davon keine Rede. Wenn manche seiner Wünsche für uns nicht machbar oder auch besonders schwierig waren, haben wir zusammen eine Lösung dafür gesucht.

Super!

Ja es ist auch in der Tontechnik nicht so, dass man vom Regieteam eine Art Anforderungszettel bekommt und den dann Schritt für Schritt abwickelt, sondern es muss sich ein echtes Miteinander entwickeln. Oft haben Komponisten auch nicht das technische Know-how – schon allein deswegen muss man sich immer wieder zusammenzusetzen und eine Lösung für eine Idee entwickeln. Ein weiteres Beispiel: Es gibt in Antigone-Tribunal extrem schnelle Klavierpassagen, die für die Pianisten nicht spielbar waren…

Krass!

… es ging einfach nicht. Und dann haben wir gemeinsam überlegt, wie das Problem gelöst werden könnte. Es war dann Leos Idee, diese Sequenzen am Computer zu programmieren und von uns musikalisch einspielen zu lassen.
Wir mussten uns auch Gedanken über die genaue Umsetzung machen, damit möglichst wenig Unterschied zum echten Klavier hörbar ist. Wir haben dann Lautsprecher unter dem Klavier installiert, uns ins Publikum gesetzt und von dort den Sound so eingestellt, dass es glaubwürdig klang, denn wenn das über die große Anlage gekommen wäre, hätte man den Unterschied sofort gehört.
Und noch etwas war eine Art Premiere bei diesem Stück: Normalerweise gibt es pro Produktion einen Tonmeister. Ich habe eine halbe Stelle, Dominik eine ganze, aber allein ist dieses Stück nicht machbar. Einer fährt die Einspieler und zusätzlich wurden alle Sänger mit Mikroports verstärkt; sie wären sonst bei dem Orchester untergegangen, da die Akustik im JOiN nicht optimal ist. Einspieler und Mikroports zusammen zu bedienen ist unter normalen Umständen von einem Tontechniker zu leisten, aber eben nicht bei diesem Stück: einmal nicht auf die Noten geschaut und man wusste nicht mehr, welcher Takt gerade gespielt wird.

Aber das ist auch anstrengend für die Zuhörer, oder? Es klingt zumindest so.

Florian Kontny: Ja, schon. Aber ich habe mir das immer wie Sounddesign vorgestellt – eine Art mit Klängen, Tönen und Rhythmen Stimmungen zu erzeugen und nicht unbedingt gefällig sein zu wollen. Es hilft allerdings als Zuschauer, wenn man vorher die Einführung besucht.

Dominik Schempp: Kommt darauf an. Wenn man darauf vorbereitet ist, dass es sich um Neue Musik, um Soundcollagen und um Klänge handelt, konzentriert man sich mehr auf die Handlung. Und da jeder Charakter auf der Bühne sein eigenes Klangbild hat, funktioniert das recht gut.

Vielleicht zum Abschluss noch mit drei Worten: Wie fandet ihr die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Leo Dick?

Extrem freundlich – respektvoll – abgefahren!