Zwischen Bangen, Buchen und Absagen

Waren Sie in letzter Zeit einmal an der Tages- oder Abendkasse? Haben bei uns angerufen? Waren vielleicht enttäuscht, weil Sie eine Absage erhalten haben? Auch für die Kolleg*innen im Kartenservice ist die Corona-Situation oftmals anstrengend. Wir haben fünf kurze Gespräche mit dem Team des Kartenservice geführt.
Lässt sich auch, wenn’s stressig wird, die Laune nicht verderben: Lisa Fritz-Bucher vom Telefonischen Kartenservice
Eigentlich ist für uns gerade die schlimmste Phase der bisherigen Corona-Pandemie. Jede einzelne Absage, die wir verschicken müssen, tut uns leid. Und hinter jeder Absage steckt eine ganz persönliche Geschichte: die Verwandtschaft, die aus den USA anreist, traurige Enkelkinder, kranke Eltern. Wir hören jeden Tag so viele persönliche Geschichten – und jede einzelne trifft uns ganz persönlich. Manchmal könnte ich am Ende einer Schicht wirklich heulen, einfach weil mir viele Menschen so leid tun. Für viele sind wir im Telefonischen Kartenservice auch eine Anlaufstelle für all die Sorgen der Pandemie. Den Ministerpräsidenten können sie schließlich nicht anrufen. Viele Menschen sind insgesamt sehr angespannt – und das trifft dann oft uns. Normalerweise bringen wir den Leuten ja Freude, wenn wir ihnen Karten verkaufen können. Momentan bringen wir mit den Vorstellungsabsagen eher traurige Nachrichten. Aber wir versuchen dann Seelentröster zu sein.
Lisa Fritz-Bucher, Telefonischer Kartenservice
Buchen oder stornieren? Sylke Eckstein bearbeitet die schriftlichen Karten-Bestellungen.
Meine Kernaufgabe ist die Bearbeitung der schriftlichen Vorbestellungen. Das war schon in den Zeiten ohne Corona oft eine Punktlandung, wenn viele Bestellungen vorlagen. Aber wir konnten uns chronologisch von Tag zu Tag vorarbeiten. Gerade haben wir nur ein paar Tage Zeit, um einen kompletten Monat einzubuchen. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Und dann von einen Tag auf den anderen einfach 50% der verkauften Tickets stornieren zu müssen, ist wahnsinnig deprimierend. Und es wird mit jedem Tag deprimierender. An manchen Tagen wussten wir ja nicht mal: Lohnt es sich überhaupt diese Bestellung zu bearbeiten? Oder muss ich sie ohnehin bald wieder stornieren? Fürs neue Jahr wünschen wir uns einfach wieder ein Stück mehr Normalität – und Planungssicherheit.
Sylke Eckstein, Buchungsbüro
Schwört auf die Goldberg-Variationen: Egizia Bertagnoli aus dem Team des telefonischen Kartenservice
Ich bin gerade ziemlich atemlos. Wir im Telefonischen Kartenservice sind das Ventil für so vieles: Die Politik trifft eine Entscheidung – und zwei Minuten später klingelt bei uns das Telefon. Die guten Dinge fallen leider zu oft unter den Tisch. Oft verkaufen wir an einem Tag Karten, die wir am übernächsten Tag bereits wieder stornieren müssen. Wir verwalten den Mangel. Die drei Sparten Oper, Ballett und Schauspiel sind ja wie drei unterschiedliche Planeten, jede tickt anders. Und wir sind die ISS, die versucht, diese drei Planeten anzufliegen und unter einen Hut zu bringen. Wir müssen so viel reden und erklären: unser komplexes Verkaufssystem vor allem, aber auch, welche die besten Plätze sind oder was es mit der „Zwetschgendörre“ auf sich hat. Toll sind die Goldberg-Variationen, die in der Warteschleife laufen. Ich glaube, diese Musik beruhigt viele Menschen, bevor sie überhaupt bei uns durchkommen.
Egizia Bertagnoli, Telefonischer Kartenservice
Uwe Lammersdorf an der Tageskasse der Staatstheater im Gespräch mit einer Kundin
In Zeiten außerhalb der Pandemie betreue ich die Kassen. Derzeit bekommen wir allerdings an die 600 Mails pro Tag, die die Kolleg*innen in der E-Mail-Bearbeitung nicht mehr erledigen können. Nun kümmern auch wir uns um die Beantwortung von Kundenanfragen und sind im Moment ziemlich am Rödeln, wir werden schließlich auch an der Tageskasse und an den verschiedenen Abendkassen gebraucht. Oft kann ich gerade gar nicht auseinanderhalten, was in meiner täglichen Arbeit mein eigentlicher Job wäre und was Corona durcheinandergewirbelt hat. Und wir wollen natürlich allen Besucher*innen helfen, zum Beispiel denen, die trotz Absage an die Abendkasse kommen. Ich verstehe ja auch alle, die von uns enttäuscht sind – die zum Beispiel zu Weihnachten oder Silvester gern eine Vorstellung besucht hätten.
Christina Schanz, Kartenservice
Normalerweise sind wir immer auf dem Laufenden, was die Bestellungen angeht. Wir hätten zum jetzigen Zeitpunkt die komplette Spielzeit im Griff und alle Bestellungen bis Juli korrekt bearbeitet und abgelegt. Aber wir machen gerade nur noch Schadensbegrenzung, unsere normale Arbeit bleibt in weiten Teilen auf der Strecke. Wir tun was wir können, aber die Zeit fehlt einfach. Ich verstehe, wenn unsere Kund*innen vor den Kopf gestoßen sind. Diese Wechsel zwischen Lockdown, 50% Kapazitäten, Vollbesetzung und nun wieder 50% ist schwierig zu verstehen. Aber wir wissen im Moment auch nicht, wie es weitergeht.
Tanja Reinhardt, Kartenservice
Gesprächsprotokolle: Johannes Lachermeier
Fotos: Angelika Graf