Wagner zwischen Ruin und Rettung

Als Richard Wagner 1864 in Stuttgart eintraf,
war er hochverschuldet und stand kurz vor dem Ruin. Seine fünf Tage im Hotel Marquardt sollten über seine Zukunft entscheiden. Wir dokumentieren hier einen Teil seiner Korrespondenz.
Was kurz zuvor geschah: Die Uraufführung von Tristan und Isolde an der Wiener Hofoper im Frühsommer 1863 wurde nach 77 Proben wegen Unaufführbarkeit abgesagt und die Pläne für eine finanziell notwendige Konzertreise haben sich zerschlagen. Der Komponist schrieb dazu:

"Ich musste vor meinen Gläubigern die Flucht ergreifen und fand schließlich kurzzeitig Aufnahme bei Eliza Wille in Mariafeld bei Zürich. Doch die Rückkehr ihres Gatten, François Wille, von einer Türkei-Reise setzte meinem Asyl ein jähes Ende. Gesundheitlich angeschlagen und zutiefst verzweifelt machte ich mich auf den Weg nach Stuttgart, wo ich einerseits auf Unterstützung durch meinen Freund, Hofkapellmeister Karl Eckert, hoffte und andererseits eine Rückzugsmöglichkeit zur Arbeit an den Meistersingern suchte. Ich bezog zwei Zimmer im Hotel Marquardt."

Immerhin ein angemessenes Ambiente, um den Gast zu empfangen, der ihn am 2. Mai 1864 dringend zu sprechen wünschte: Kabinettssekretär Pfistermeister, durch König Ludwig II. von Bayern speziell damit beauftragt, Wagner hinterher zu reisen, um ihn an den königlichen Hof in München zu berufen.

Das Wunder, das der Komponist so verzweifelt herbeisehnte, trat also tatsächlich ein und er wurde – zumindest vorerst – von allen Geldsorgen befreit.

Die folgenden Auszüge aus Wagners Korrespondenz zeigen den Komponisten kurz vor und während seines Stuttgart-Aufenthalts.

Meine liebe Mathilde!
Du hast meine Frage nicht wörtlich genug verstanden. Ich sagte Dir: Wenn es Deiner Familie selbst ganz gleich wäre, ob sie für die Zukunft in Mainz oder in Darmstadt wohnt, so würde das letztere mir erwünscht sein, weil ich dann das für mich bei Euch aufbewahrte Zimmer unter Umständen lieber als Asyl in Betracht ziehen würde. (…) Grüsse Alles herzlich und behalt‘ mich lieb!
Dein RW.
– an Mathilde Maier in Mainz; Mariafeld bei Zürich, Donnerstag, 14. April 1864

Lieber Freund!
Ihre Nachricht war die erste gute seit langer Zeit für mich! (…) Einstweilen möchte ich Sie bitten, was Sie dazu thun können, um die Grossherzogliche Hilfssendung zu beschleunigen, nach Kräften anzuwenden: ich warte nur auf diese Hülfe (da ich eine andre noch nicht in Aussicht habe) um von hier, wo ich nicht für diesen Sommer bleiben kann, abzureisen. Bitte, erinnern Sie zur Beschleunigung! (…)
Mit warmen Danke,
Ihr Richard Wagner
an Wilhelm Kalliwoda in Karlsruhe; Mariafeld bei Zürich, Mittwoch, 20. April 1864

Lieber Herr Schott!
(…) Sie boten mir im Herbste vorigen Jahres die Auszahlung des damals noch erbetenen Vorschusses von 3000 fl. in der Weise an, dass Sie mir monatlich 500 fl. wollten zustellen, gegen die Verpflichtung,
in 6 Monaten die Arbeit beendigt zu haben. Ich war gewissenhaft genug, Ihnen hiergegen in Carlsruhe mündlich den Vorschlag zu machen, mir sofort 1500 fl. zu übergeben, und bei Ablieferung jeden Actes mir 500 fl. zu zahlen. Nachdem Sie so gütig waren, mir die ersten 1500 fl. wirklich zuzustellen, bitte ich Sie nun, die anderen Zahlungen, zweckentsprechender, mir in monatlichen Raten von 200 fl. zukommen zu lassen. Hierdurch sichere ich mir mein ruhiges Auskommen grade für die Zeit meiner Arbeit. Demnach ersuche ich Sie, Herrn Wessely & Büssing in Wien gefälligst damit zu beauftragen, dass sie vom 30sten April d. J. an für jeden letzten Tag des Monats fl. 200 für mich bereit halten, und zwar bis 30. Dezember, was allerdings mit neun Monaten, 9 Zahlungen, somit 1800 fl., statt 1500 fl. ausmachen würde.
Da diess Alles ja doch nur später zu verrechnende Vorschüsse sind, so kommt es Ihnen, wenn wir einmal mit der Arbeit rüstig bis gegen das Ende gelangt sind, wohl auch nicht auf 300 fl. mehr an: mir giebt dieses aber im Voraus die nötige Ruhe. (…) Am 1. Mai sitze ich wieder über den Meistersingern. Hoffentlich habe ich zuvor am 30. April am Kohlmarkt mein erstes Monatsgeld vorgefunden. (…)
Empfehlen Sie mich auf das Freundschaftslichste Ihren verehrten Damen, und vertrauen Sie fest
auf Ihren dankbarst ergebenen Richard Wagner
an Franz Schott in Mainz; Mariafeld bei Zürich, Montag, 25. April 1864

Beste Freundin!
(…) Ich weiß, dass auch Sie nicht reich sind; ich muss aber, nach gemachter freundlicher Erfahrung vermuthen, dass Ihnen doch Mittel und Wege offen stehen, in solchen Fällen behilflich zu sein. Demnach bitte ich Sie herzlich und inständig, meiner armen Frau in jeder Weise mit den nöthigen Vorschüssen für diesen Sommer an die Hand zu gehen: geben Sie ihr oder verschaffen Sie ihr, was sie nur bedarf. (…) Zunächst bitte ich Sie, als teure Freundin meiner Frau; dann aber auch aus Rücksicht auf mich, der ich jetzt die höchste Gemüthsruhe gebrauche, um die Arbeit, zu der ich so guter und selbst heiterer Stimmung bedarf, und in der ich bald durch Krankheit, bald durch Reisen, endlich durch Sorgen, immer unterbrochen wurde, ganz zu beenden, und dadurch wieder in die nöthige Berührung mit der Welt zu kommen. Somit, liebe Frau Pauline, zähle ich auf Ihren treuen Beistand! Schrecken Sie vor keiner Summe zurück; ich verdiene mir alles im nächsten Winter. (…)
Meines innigsten Dankes seien Sie aber für immer versichert; machen Sie mir das Herz leicht, und bleiben Sie ein wenig gut
Ihrem wahrhaft ergebenen Richard Wagner.
an Pauline Tichatschek in Dresden; Mariafeld bei Zürich, Montag, 25. April 1864

My inspirations carried me into a sphere she could not follow, and then the exuberance of my heated enthusiasm was met by a cold douche. (…) Now there is a dark void, and my misery is deep. It has struck into my health, though I carefully attend to what you ever insist is the root of my ills - diet. Yet I do not sleep and I am altogether in a feverish state. (…) Unless I can shortly and quickly rescue myself from this quicksand of gloom, it will engulf me and all will then be over. Change of scene I must have. If I do not I fear I shall sink from inanition. I like comfort, luxury – she fettered me there – How will it end?
Write to me soon. Richard Wagne
an Ferdinand Praeger in London; Mariafeld bei Zürich, April 1864

Lieber Heinrich!
(…) Seit heute vor 8 Tagen, wo mir – im Begriffe nach Penzing abzureisen, um wieder in ein ehrenvolles und vertrauenerweckendes Vernehmen zu meinen Gläubigern zu treten – die Nachricht von der brutalen, Kopf- und Herzlosen, mit völliger Heimtücke ausgeführten Gewaltthat meiner Bevollmächtigten zukam, habe ich allen und jeden Schlaf verloren und ist mein Haar fast vollständig ergraut. Ich hatte diesmal die alte Lehre zu beherzigen: „Der Himmel bewahre mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich schon fertig werden! (…)
Bleiben Sie treu und echt!
Ihr Richard Wagner.
an Heinrich Porges in Wien; Stuttgart, Montag, 2. Mai 1864

Theurer huldvoller König!
Diese Thränen himmlischester Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftiges Leben getreten sind! – Und dieses Leben, sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König: verfügen Sie darüber als über Ihr Eigenthum! Im höchsten Entzücken, treu und wahr,
Ihr Unterthan Richard Wagner.“
an Ludwig II. von Bayern in München; Stuttgart, Dienstag, 3. Mai 1864

Lieber Franz!
Halten Sie sich bereit, mit ihrer Frau, in einigen Tagen zu mir nach München zu kommen, und zwar für alle Zeit. Wie Sie es mit dem kleinen Kinde halten wollen, überlasse ich Ihnen; will es die Frau in Penzing in Kost zurücklassen, und es später erst zu sich holen, so wäre mir das recht. Will sie es aber durchaus mitnehmen, so können wir auch hier dafür ein Unterkommen finden. (…) Schönen Gruss!
Richard Wagner.
an Franz Mrazek in Wien; München, Donnerstag, 5. Mai 1864

My private Wagner