Im zweiten Sinfoniekonzert wird das Staatsorchester Stuttgart zusammen mit dem Staatsopernchor Strawinskys Psalmensinfonie aufführen. Wir haben Msrg. Dr. Christian Hermes, Stuttgarts Stadtdekan, nach seinen Assoziationen zu den biblischen Psalmen gefragt und mit ihm zwischen den Zeilen gelesen. Eine Interpretation aus Sicht eines Geistlichen.

Psalm 39

Exaudi orationem meam, Domine,
et deprecationem meam.
Auribus percipe lacrimas meas.
Ne sileas, ne sileas.
Quoniam advena ego sum
apud te et peregrinus,
sicut omnes patres mei.
Remitte mihi, ut refrigerer,
priusquam abeam et amplius non ero.
Höre mein Gebet, Herr,
und vernimm mein Schreien,
schweige nicht zu meinen Tränen;
denn ich bin ein Gast bei dir,
ein Fremdling wie alle meine Väter.
Lass ab von mir, dass ich mich erquicke,
ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin.
„Windhauch ist der Mensch. Da zerreißt es eine*n: Aufschreien oder Klappe halten? Hadern oder sich ergeben angesichts der Vergänglichkeit und Hinfälligkeit: Dann das: Ich schreie dich an, Gott. Wie kann Dir das egal sein? Und zugleich: Gott, dann schau halt einfach weg! Wenn das Leben so ist, dann lass mich, wenigstens, in Ruhe!“
Dr. Christian Hermes

Psalm 40

Expectans expectavi Dominum
et intendit mihi.
Et exaudivit preces meas:
et eduxit me de lacu miseriae
et de luto faecis,
et statuit super petram pedes meos:
et direxit gressus meos.
Et immisit in os meum canticum novum,
carmen Deo nostro.
Videbunt multi, videbunt et timebunt:
et sperabunt, sperabunt in Domino.
Ich harrte des Herrn, und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien. Er zog mich aus der grausigen Grube, aus lauter Schmutz und Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, dass ich sicher treten kann; er hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unsern Gott. Das werden viele sehen und sich fürchten und auf den Herrn hoffen.
„Da hat eine*r um sein*ihr Leben gehofft und gebetet. Und dankt nun: dass er*sie herausgekommen ist: aus dem Dreckloch des Gefängnisses? Aus dem Schützengraben des Krieges? Aus dem shithole seiner persönlichen Lebensmisere? Jetzt, Gott sei Dank, wieder Boden unter den Füßen, standfest, felsenfest, erhobenen Hauptes.“
Dr. Christian Hermes

Psalm 150

Alleluia. Laudate Dominum
in sanctis ejus laudate eum
in firmamento virtutis ejus.
Laudate eum in virtutibus ejus,
laudate Dominum in sanctis ejus.
Laudate eum secundum multitudinem magnitudinis ejus.
Laudate eum in sono tubae.
Laudate eum in timpano et choro,
laudate eum in cordis et organo,
laudate eum in cymbalis benesonantibus,
laudate eum in cymbalis jubilationibus.
Omnis spiritus laudet Dominum.
Alleluia.
Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Halleluja!
„Großes Halleluja im letzten Lied des Psalters, krönender Abschluss: Die ganze Schöpfung, alles was lebt und atmet, tritt als ultimatives Weltorchester zusammen: mit dem Schofar-Horn, Gott und dem König vorbehalten, mit großen, aristokratischen Harfen und den Leiern der kleinen Leute, mit Streichern, Bläsern, Perkussion: Ganz große, kosmische Festmusik!“
Dr. Christian Hermes