Am 1. November feiert Paul Dessaus und Bertolt Brechts „Die Verurteilung des Lukullus“ Premiere im Stuttgarter Opernhaus. Noch nie gehört? Keine Ahnung, worum’s geht und wie diese Oper klingt? Keine Sorge: Hier beantworten wir die dringendsten Fragen zu dieser außergewöhnlichen Premiere!

1. Lukullus – das ist doch dieser antike Feinschmecker?

Ja, genau – zumindest haben ihn die antiken Geschichtsschreiber so dargestellt. Daher kommen Wendungen wie „lukullische Köstlichkeiten“ oder auch das Schoko-Keks-Dessert „Lukullus“, das in vielen Regionen auch als „Kalter Hund“ verbreitet ist. Googlen Sie einmal „Lucullus“: Neben Geschichtlichem finden Sie da vor allem Kulinarisches vom Senfhersteller über Bistros und Restaurants bis hin zu Backrezepten. Allerdings war der historische Lucius Licinius Lucullus im 1. Jahrhundert vor Christus auch ein höchst erfolgreicher Feldherr – zumindest, wenn man die Unterwerfung anderer Länder in kriegerischen Konflikten als „Erfolg“ werten will. Doch auch der Feinschmecker Lukullus spielt in Dessaus Oper eine Rolle: Sein Koch hat einen großen Auftritt.

2. Ok. Aber worum geht’s eigentlich?

Die Handlung der Oper setzt unmittelbar nach Lukullus’ Tod ein: Wir begleiten zunächst einen opulenten Trauerzug für den Verstorbenen und treffen ihn danach selbst am Eingang der Unterwelt wieder. Ihn erwarten die Schöffen des Totengerichts, denen gegenüber er Rechenschaft ablegen muss über seine Verdienste auf Erden. Doch in der Unterwelt gelten andere Kriterien bei der Bewertung eines Menschenlebens – und militärische Ehren gelten nichts mehr. Ob das Totengericht noch einen positiven Aspekt in seinem Leben findet?

3. Und das Ende?

+++ Achtung, Spoilerwarnung +++
Lukullus wird verdammt – das heißt hier: Er wird für unwert befunden, erinnert zu werden oder zukünftigen Generationen als Vorbild zu dienen. „Ins Nichts mit ihm“, so lautet das Urteil des Gerichts. Während das Hörspiel, das der Oper zu Grunde liegt, offen endet, gibt es hier ein großes und spektakuläres Opernfinale unter Aufbietung des gesamten Orchesterapparats, des Chors und aller Soli.

4. Oper im Spielfilmformat?

Für Lukullus‘ Verurteilung macht Dessau kurzen Prozess – zumindest was Opernverhältnisse angeht. Nur rund 90 Minuten dauert der pausenlose Abend, und das nicht ohne Grund: Bertolt Brechts Hörspiel Das Verhör des Lukullus bildet die Grundlage des Librettos, und Hörspiele waren meistens auf eine Sendezeit von bis zu einer Stunde angelegt – und auch in der Opernversion dauert das Stück nur geringfügig länger.

5. Wer sitzt im Orchestergraben?

Paul Dessau hatte neben dem Dirigieren auch Violine studiert – und schon als Jugendlicher als Violinvirtuose Konzerte gegeben. Doch für seinen Lukullus realisierte er ein völlig anderes Instrumentarium. Die Partitur verzichtet völlig auf Geigen und Bratschen, dafür besetzt er ein neunköpfiges Schlagzeug: Die Partitur gibt sage und schreibe acht Pauken, eine große Trommel, dazu eine mit aufgeschnalltem Becken, eine Rührtrommel, eine Militärtrommel, drei verschiedene Tomtoms, ein großes Tamtam, drei verschiedene Gongs, zwei Xylophone, Glockenspiel, verschiedene Tempelblöcke, verschiedene Stahlplatten, einen mittelgroßen Amboss, einen größeren Stein auf eine möglichst hoch gestimmte Stahlplatte und drei Marimbaphone vor. Dazu setzt er noch das Trautonium ein, das erste elektronische Musikinstrumente überhaupt, das vor allem durch den Einsatz in Alfred Hitchcocks Die Vögel bekannt wurde. Und auch das Akkordeon hat einen großen Auftritt!

6. Und wie klingt das?

Sehr effektvoll, farbenfroh und kontrastreich. Im Mittelpunkt steht dabei Brechts Text: Die Musik richtet sich ganz nach den Forderungen von Brechts revolutionärer Theatertheorie. Die widerstreitenden Argumente des Unterweltprozesses werden nicht nur begleitet oder untermalt, sondern kommentiert und ausgeleuchtet. Dabei ist die Musik immer wahre Theatermusik, die Situationen und Figuren, ihr Verhalten und ihre Emotionen werden durch ständig wechselnde Klangfarben deutlich charakterisiert. Auch Dessaus Erfahrungen als Kinokapellmeister und Filmkomponist für Hollywood fließen in die Partitur ein. Kein berauschender Handlungsfluss, sondern ein ständiges Wechseln der Perspektiven ist Programm, Kontrast und Vielfalt: Bedrohlich schmetternde Militärmusik steht neben zarten, kammermusikalisch begleiteten Sologesängen, hochvirtuose Koloraturen neben schlichten Liedern. Dabei begegnen dem Publikum durchaus bekannte Formen der vorromantischen und klassischen Oper: Ensembles, Duette und Arien – auch wenn diese wenig schwelgerisch sind. Bis auf Lukullus’ Loblied auf seinen Koch, dieser gerät bei den Erinnerungen an die Festmähler ins Schwärmen.

7. Wer singt?

Sage und schreibe mehr als 40 einzelne Rollen verlangt Paul Dessau in seiner Partitur, Gesangs- und Sprechrollen, Chor- und Kindersoli. Eine große Aufgabe also für ein Haus mit einem starken Ensemble – und dabei gibt es hochvirtuose Partien, allen voran die Titelpartie des Lukullus, der von Gerhard Siegel verkörpert wird. Diese Rolle verlangt einen Heldentenor mit großer Kondition: Lukullus ist das ganze Stück über fast ununterbrochen auf der Bühne! Als Tertullia tritt Cheryl Studer auf, die sicherlich noch vielen Opernfans als einer der Sopranstars der 90er und 00er Jahre ein Begriff ist – sie hat die größten Rollen des Repertoires an den größten Häusern der Welt gesungen. In Lukullus verkörpert sie die Partie der Tertullia, die dem Feldherrn (und natürlich dem Publikum!) die Regeln des Totenreichs nahebringt, an dessen Pforte sie gemeinsam mit der Titelfigur warten muss. Am Ende der Oper vereinigen sich alle Gesangsstimmen zu einem großen Kollektiv – alle außer der Verhörte natürlich…

8. Inszenieren im Kollektiv?

Das Musiktheaterkollektiv HAUEN UND STECHEN zeichnet für die Inszenierung verantwortlich. Hinter diesem (wenig pazifistisch anmutenden) Namen verbergen sich eine Reihe von Künstler*innen, die bereits seit neun Jahren in unterschiedlichen Konstellationen zusammenarbeiten. Sie stehen für ein „bewegendes, zeitgemäßes, grenzüberschreitendes und genreübergreifendes Musiktheater“, so ihre Selbstauskunft. Wie die Zusammenarbeit ganz praktisch aussieht, beschreiben die Regisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski und die Kostümbildnerin Yassu Yabaru im Interview.

9. Mehr als die „Dreigroschenoper“?

Bertolt Brecht und Oper? Da fällt vielen vermutlich zunächst die berühmte Dreigroschenoper oder Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny mit der Musik von Kurt Weill ein. Aber Brecht, für dessen Theaterrevolution die Musik eine wichtige Rolle spielte, arbeitete neben Kurt Weill mit einigen Komponisten zusammen. Dessau lernte er im Exil in New York kennen – und gemeinsam realisierten sie eine ganze Menge musiktheatraler Werke, darunter Bühnenmusiken zu elf Theatertexten Brechts wie Mutter Courage und ihre Kinder. Beide Künstler verband bis zu Brechts Tod eine enge Zusammenarbeit – und Lukullus ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür.

10. Und was sagt der Dirigent?

Bernhard Kontarsky: „Kein Stück für schlecht gelaunte Herren in schlechtsitzenden Anzügen!“