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23.06.2025 Ein reisender Engel
Nachruf Beate Ritter

Ein reisender Engel

Die Sopranistin Beate Ritter ist am 22. Juni im Alter von nur 41 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben. Von 2018 bis 2024 war sie Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart. Ein Nachruf von Intendant Viktor Schoner.
Die Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte war ihre Paraderolle. In über 150 Vorstellungen hat sie sie in verschiedensten Inszenierungen, an Opernhäusern auf der ganzen Welt verkörpert. Beate Ritter galt in dieser heiklen Rolle als „sichere Bank“ – auch an der Staatsoper Stuttgart gab sie die Partie 26 Mal. Sowohl die Eröffnungsarie „O zittre nicht“ wie die noch prominentere und noch delikatere Rache-Arie im zweiten Akt meisterte sie an jedem dieser Abende makellos – technisch beeindruckend, intonations- und nervensicher. Außerdem – und das war das Besondere – irgendwie menschlich. Beate Ritter war keine „Gesangsmaschine“, wie man das manchmal in dieser Rolle erleben kann, sondern sie verkörperte mit ihrer Stimme die Königin als sorgende Mutter im ersten Akt genauso überzeugend wie dann als Rachegöttin im zweiten Akt.

Beate Ritter war von 2018 bis 2024 Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart. In unserer Vorbereitungszeit hatte Casting-Direktor Boris Ignatov sie vorgeschlagen; Beate war damals schon einige Jahre im Ensemble der Volksoper Wien aufgefallen. Cornelius Meister kannte und mochte sie gerne aus der Zusammenarbeit als Zerbinetta im Glyndebourne Festival 2017. Ich erinnere mich gut an unser erstes Gespräch, als sie in dieser indirekten Direktheit, wie sie nur Österreicher beherrschen, einerseits begeistert erzählte von ebendieser Rolle der Königin und gleichzeitig ihre Hoffnung formulierte, eben nicht auf diese Rolle reduziert zu werden. Schon damals äußerte sie sehr selbstreflektierend ihre Sorge, dass in einem gewissen Alter die Unbekümmertheit verloren ginge, die man allerdings brauche, um diese so offenliegende Partie zu meistern. Technisch sei alles nach wie vor kein Problem – allerdings würden die Nerven nicht besser im Alter. Sagte die damals gerade Anfang 30-Jährige.

Ihren Wunsch, auch andere Rollen erarbeiten zu können, erfüllten wir ihr in Stuttgart gerne. Von Giuseppe Verdis Gilda über Puccinis Musetta, von der Sophie in Werther bis zu einer herausragenden Sophie im Rosenkavalier, die sie konzertant zu Corona-Zeiten mit Cornelius Meister erarbeitete. Genauso wie die Zerbinetta in Ariadne auf Naxos, die man wirklich legendär nennen muss und die wir auf Vinyl-Platte festgehalten haben. In der Spielzeit 2022/2023 verkörperte sie zwei fast überirdische Figuren: Wer sie als Waldvogel in Wagners Siegfried erlebte, war aus dem Wagnerrausch gerissen durch diese ungeheure Textverständlichkeit, und sie berührte – für mich persönlich fast unerwartet – in Olivier Messiaens Meisterwerk über den heiligen Franziskus in der Rolle des Engels: Schier endlose Linien mit selten zu hörendem glasklarem Sopran. Messiaen hätte sich gefreut!
Auch nach ihrer Zeit als festes Ensemblemitglied kehrte sie gerne als Gast zurück nach Stuttgart. Am 18. April, also vor 9 Wochen, gastierte sie wieder als Königin im Littmann-Bau. In der Pause klagte sie über Bauchschmerzen. Wir hätten eine Kollegin im Hause gehabt, die für sie den zweiten Akt hätte übernehmen können. Beate, gewohnt diszipliniert, wollte jedoch unbedingt selbst den Abend zu Ende bringen – der Herausforderung der Rache-Arie die Stirn bieten. Sie brillierte, das Publikum dankte mit Standing Ovations. Noch in der Nacht fuhr sie nach Hause, wollte bei ihrem Mann sein – sie hatten im Sommer 2024 geheiratet. Der Arzt diagnostizierte am Folgetag Ernstes, die Operation folgte nur wenige Tage später, doch die Behandlung wurde vor zwei Wochen auf ärztlichen Rat hin abgebrochen. Dieser unerbittlichen Krankheit konnte Beate nicht die Stirn bieten. Gestern verstarb sie viel zu früh im engen Kreis ihrer Familie.

Es fühlt sich irgendwie gut an, dass sie mit dem Applaus für eine erfolgreiche Vorstellung als Königin der Nacht ihre Zeit auf der Opernbühne beendete. Und nun – reist sie als Engel. In der Regieanweisung des vierten Bildes von Saint François d’Assise, das mit L’Ange voyageur überschrieben ist, heißt es: „Der Engel macht eine kleine Handbewegung, und die Pforte öffnet sich von selbst, und er geht nach rechts auf dem Waldweg, wie er gekommen ist, als würde er tanzen, ohne den Boden zu berühren.“
Mitschnitt des vierten Bildes „L’Ange Voyageur (Der reisende Engel)“ der Oper „Saint François d'Assise“
mit Beate Ritter (Engel), Danylo Matviienko (Bruder Léon), Gerhard Siegel (Bruder Élie), Elmar Gilbertsson (Bruder Massée), Marko Špehar (Bruder Bernard) sowie dem Staatsorchester Stuttgart unter der Musikalischen Leitung von Titus Engel
Adieu, Beate! Wir werden dich vermissen!

Im Namen des Solist*innenensembles der Staatsoper, der musikalischen Abteilung, aller künstlerischen, administrativen und technischen Mitarbeiter*innen sprechen wir der Familie unser tiefes Beileid aus. Die Vorstellung von Giuseppe Verdis Rigoletto am 21. Juli werden wir ihrem Andenken widmen.