Sind Sie sicher, Maurus Zinser?

Wenn unser Publikum ins Opernhaus kommt, begegnet es meistens zuerst den Kolleg*innen des Besucherservice. Damit ist durch die Schließung der Theater-, Konzert- und Opernhäuser natürlich erstmal Schluss, was Maurus Zinser, den Leiter des Besucherservice, besonders schmerzt. Wir haben mit ihm unmittelbar nach dem Lockdown gesprochen – über das Hygienekonzept der Staatstheater, sein ganz individuelles Sicherheitsgefühl und darüber, ob das Publikum die Oper vermissen wird.
Lieber Maurus, bist du dir sicher?
Ja, ich bin mir sicher, dass wir hier sicher sind. (Lacht)

In den letzten Monaten haben wir hier im Haus und habt namentlich ihr im Besucherservice viel ausprobieren müssen. Wie war diese Zeit seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs im Juni bis heute?
Von der Schließung im März sind wir ja völlig überrumpelt worden. Bevor es dann im Juni wieder in Richtung Spielbetrieb ging, haben wir zusammen mit dem Betriebsarzt, dem Sicherheitsingenieur und dem Sozialreferat der Staatstheater ein umfassendes Hygienekonzept zum Schutz der Mitarbeiter*innen und des Publikums erarbeitet. Dann haben wir Plexiglasscheiben für die Garderoben, Desinfektionsmittelspender und Hinweisschilder angeschafft sowie ein umfassendes Wegeleitsystem ausgetüftelt. Das Publikum wird von unseren Mitarbeiter*innen vom Eingangsbereich direkt in das richtige Stockwerk zum Platz geleitet, um Kontakte zu minimieren. Dabei informieren wir über unser Hygienekonzept und die damit einhergehenden Maßnahmen.
Und das war’s?
Nein, es geht noch weiter: Vor jeder Veranstaltung ziehen wir über die Sitzplätze, die aufgrund der Abstandsregelung frei bleiben müssen, schwarze Hussen. Jeden Abend ist die Belegung anders, da wir ja Angehörige desselben Haushalts zusammen platzieren können. Diese Information ist im Reservierungssystem hinterlegt. Beim Aufziehen der Hussen unterstützen uns freundlicherweise die Mitarbeiter*innen der Bühnentechnik. An den Garderoben werden die Jacken und Mäntel mit Handschuhen entgegengenommen und so gehängt, dass sich die Kleidungsstücke nicht berühren. Und natürlich gilt im gesamten Haus Maskenpflicht. Falls jemand seine Alltagsmaske vergessen hat, helfen wir gerne aus.

Uns ist es wichtig, dass der Besuch im Opernhaus so entspannt wie bisher abläuft. Dazu gehört auch, dass man vor der Vorstellung und in der Pause etwas trinken kann. Für die Gastronomie gibt es ebenfalls ein ausgeklügeltes Hygiene- und Abstandssystem.

Bevor das Publikum ins Haus kommt, öffnen wir erst einmal alle Fenster. Die Foyers werden anderthalb Stunden vor Vorstellungsbeginn gut durchlüftet, zusätzlich auch während der Aufführungen vor den Pausen und vor dem Auslass. Im Zuschauerraum des Opernhauses sorgt ohnehin eine leistungsstarke Lüftungsanlage dafür, dass die Raumluft laufend ausgetauscht wird.

Die Kontaktformulare, die unsere Gäste ausfüllen und abgeben werden jeden Abend im Tresor verschlossen und nach vier Wochen Aufbewahrungspflicht vernichtet. Bislang musste das Gesundheitsamt diese Daten aber noch nie abrufen.
Die erste „richtige“ Vorstellung dieser Saison im Opernhaus – warst du davor nervös?
Sehr! Ich glaube, ich war der nervöseste von 28 Mitarbeiter*innen – ich hoffe, ich habe es mir nicht anmerken lassen. Aber es gab so viele Unwägbarkeiten: Wie gehen wir mit den Gästen um, wenn wir sie einerseits lenken, aber nicht bevormunden wollen? Natürlich hatten wir uns vorher einen Plan gemacht, aber dann muss der eben auch in der Realität umgesetzt werden – schön zu sehen, dass es aufgegangen ist!
Blick in den Zuschauerraum bei „Denk ich an Deutschland in der Nacht“, der ersten Vorstellung der Saison 2020/21 (Foto: Martin Sigmund)
Habt ihr euch daran gewöhnt? Oder seid ihr manchmal noch nervös?
Nein, wir sind definitiv nicht mehr nervös. Dennoch nehmen wir das Thema sehr ernst – wir sind ja von allen Kolleg*innen die mit dem engsten Publikumskontakt. Und wir müssen eine Balance finden zwischen Unterstützung und Abstandsgebot, zum Beispiel, wenn ein Gast Hilfe beim Treppensteigen braucht.

Und wir wollen natürlich die Kommunikation so angenehm wie möglich gestalten. Oft wird das Verstehen durch den Mund-Nasen-Schutz erschwert – und da helfen natürlich Gesten. In einem Workshop haben wir das extra geübt: Mit Augen und Händen sprechen und mit wenigen klaren Worten und Gesten freundlich und höflich bleiben.
So eine Schulung bräuchten wir doch eigentlich alle. Im Alltag fällt uns oft erst zu spät ein, dass das Gegenüber beispielsweise ein Lächeln ja gar nicht sehen kann.
Ja, und ähnlich ist es mit unserer Gestik. Sie ist oft uneindeutig und kann manchmal unhöflich wirken. Eine „Stopp“-Geste wirkt maßregelnd, aber oft müssen wir einfach auf den fehlenden Abstand zwischen einzelnen Besuchergruppen hinweisen. Da hilft es natürlich, an seinem Gestenrepertoire zu arbeiten, um freundlich aber präzise zu kommunizieren.

Wichtig ist auch ein gewisses Einfühlungsvermögen. Manche Besucher verlassen eine Aufführung mit gemischten Gefühlen. Und dann kann der Besucherservice mit einer verständnisvollen und herzlichen Verabschiedung ein Zeichen für das Haus setzen.
Die Abstände bleiben gewahrt: Besucher*innen im Foyer des Opernhauses (Foto: Martin Sigmund)
Wie haben die Gäste das angenommen?
Unsere Besucher*innen nehmen wahr, dass wir ein ausgereiftes Hygienekonzept haben. Und sie fühlen sich soweit ich das beurteilen kann auch wohl bei uns. Mein schönstes Erlebnis war der Anruf einer Lehrerin, die fragte, ob wir bei ihr an der Schule vorbeikommen könnten – bei uns liefe alles so geordnet ab, ganz anders als bei ihr in der Schule. (Lacht) Natürlich gibt es auch Stimmen von Besucher*innen, die sich „überbetreut“ fühlen, aber im Großen und Ganzen spüren wir vor allem eine große Akzeptanz der Maßnahmen.
Wie geht’s dir mit der Schließung der Theater im November?
Wir waren so dankbar, dass wir nach den sehr schönen „Oper trotz Corona“-Projekten im ganzen Stuttgarter Stadtraum nun wieder zum Vorstellungsbetrieb im Haus zurückkehren konnten. Gerade hatten wir uns an die Auflagen für den Corona-Betrieb gewöhnt, da wurden wir schon wieder ausgebremst. Das stimmt mich traurig, denn wir hatten ja gute Konzepte. Keine einzige Infektion wurde hier am Haus gemeldet. Und gerade in diesen Zeiten bräuchten wir die Kunst doch so dringend.
Wie hat das Publikum reagiert?
Bei uns gab es in den wenigen Vorstellungen, die wir nach Bekanntgabe der Schließung noch hatten, schon eine ganze Reihe von Besuchern, die das bedauert haben. Wir haben eine große Dankbarkeit verspürt. Dass das Publikum das Glück, überhaupt wieder zu uns kommen zu können, nun wieder aufgeben muss, ist natürlich traurig.

Eine Dame, die seit Jahren alle Premieren im Opernhaus besucht, war zu Tode betrübt, dass sie erst für eine der Folgevorstellungen der Zauberflöte eine Karte ergattern konnte. Oft war die Haltung aber dennoch: „Hauptsache, ich bin wieder da, wo ich hingehöre – im Theater.“