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27.09.2024 Salome is watching you!
Salome is watching you!
Überwachungskameras, die selbst die intimsten Momente zeigen – Kirill Serebrennikov siedelt Richard Strauss‘ Oper „Salome“ in einem autoritären und alles observierenden Regime an. Florian Heurich beleuchtet in diesem Beitrag vor allem ein für die Produktion prägendes Element: die Videokamera.
Im entscheidenden Moment dreht die Beobachtete den Spieß um und verfolgt ihrerseits auf dem Bildschirm, was eine Überwachungskamera live filmt: die Hinrichtung Jochanaans. Damit wendet Salome sich gegen das durch ihren Stiefvater Herodes repräsentierte voyeuristische System. Schon davor werden durch die dauerbeobachteten Figuren Assoziationen an einen Polizeistaat, die Stasi und ein die Menschen dominierendes totalitäres Regime geweckt. Unweigerlich denkt man an das Schicksal des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov, der 2017, also zwei Jahre nach der Salome-Premiere 2015, unter Hausarrest gestellt wurde, als Verurteilter einer die Menschenrechte missachtenden Willkürregierung. Paradoxerweise inszenierte der vom Staat kontrollierte und möglicherweise auch observierte Theatermann in den folgenden Jahren über Kamera und Videoschalte und war im Probenraum nur auf dem Monitor präsent. Mit den gleichen Mitteln, die der Repression, Zensur und Bespitzelung dienen, wird Kunst gemacht.
Ins Bühnenbild sind insgesamt zwölf Kameras integriert, die das Geschehen aufzeichnen. Auf einer Leinwand im Hintergrund sowie auf drei Monitoren, die an eine Überwachungszentrale erinnern, sind Filmsequenzen mal als großformatige Detailaufnahme, mal als Gesamtübersicht auf einem Splitscreen zu sehen. Außerdem werden Nachrichtenschnipsel über den IS-Terror und Szenen einer ebenso dekadenten wie autoritären Gesellschaft gezeigt. Es liegt ein großes Maß an Voyeurismus in der Luft, wenn in die extremsten Bereiche der Menschen vorgedrungen wird: ins Schlafzimmer, zum Massenbesäufnis, in die Folterzelle. Überhaupt geht es in dieser Oper oft um heimliche, offensichtliche, lüsterne oder verweigerte Blicke. „Du sollst sie nicht anseh’n“, herrscht Herodias ihren Gatten Herodes an, der Salome fortwährend beobachtet. Als Lustobjekt wird sie auch von anderen mit „schmachtenden Augen“ betrachtet, während ihr eigenes Objekt der Begierde sie keines Blickes würdigt. „Hättest du mich angeseh’n, du hättest mich geliebt“, singt Salome in ihrem schaurig-schönen Schlussgesang über dem abgeschlagenen Kopf des Jochanaan, dessen Exekution ihr kurz zuvor in einem grauenvollen Auswuchs von Reality-TV eine merkwürdige Form der Unterhaltung geboten hat. Für Liebe ist aber in dieser bedrückenden Umgebung voller Gewalt, Perversion und Überwachung kein Platz, da man nie weiß, wer gerade zuschaut.
Dieser Beitrag erschien zunächst in der ersten Ausgabe der Spielzeit 2024/25 von Reihe 5, dem Magazin der Staatstheater Stuttgart.
Richard Strauss
Salome
Okt 2024
Nov 2024