Warum Wagner für den 8. März nicht taugt

Es ist Internationaler Frauentag! Auf der Bühne des Opernhauses steht dieser Tage Wagners Ring im Fokus – und damit die faszinierenden wie vielschichtigen Frauenfiguren von Sieglinde über Fricka und Erda bis hin zu Brünnhilde. Aber taugen sie auch als Identifikationsfiguren zum 8. März? Eine Betrachtung aus der „Ring“-Bahn von Chefdramaturg Ingo Gerlach.
Dass Stuttgart eine zentrale Rolle in der Weltgeschichte gespielt hat, ist vielen von uns klar. Nachdem wir uns in der letzten Spielzeit ja schon ausführlich mit Richard Wagners fünf Tagen am Neckar zwischen Ruin und Rettung beschäftigt und mehrfach darauf hingewiesen haben, dass es ohne Stuttgart kein Bayreuth gegeben hätte (zumindest nicht mit Grünem Hügel), ist auch der Internationale Frauentag ohne Stuttgart kaum zu denken. Er wurde nämlich 1910 von Clara Zetkin auf der 2. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen vorgeschlagen. Die 1. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz übrigens fand 1907 in Stuttgart statt – wo sonst. Zetkin wiederum wohnte seit 1890 in Sillenbuch und gab im Dietz-Verlag die proletarisch-feministische Zeitschrift Die Gleichheit heraus. Es ging Zetkin in dieser Zeitschrift zum einen um die Vermittlung der sozialdemokratischen Weltsicht sowie – ganz praktisch – um die ungerechten Lohn- und Arbeitsverhältnisse ihrer Zeit.
Die große Weltwissensdatenbank Wikipedia weiß, dass „der theoretische Ansatz der Gleichheit […] die Verbreitung des Blattes [erschwerte], weil die politischen Artikel zu lang und das Blatt als zu wenig unterhaltend galt.“ Abgesehen von Stuttgart als verbindendem Ort sowie dem Vorwurf, zu lang und zu wenig unterhaltsam zu sein, teilen Wagner und Zetkin vermutlich recht wenig. Dass er als 50jähriger eine Liebesbeziehung zu einer 25jährigen verheirateten Frau aufnahm, entspricht nämlich durchaus der Konvention und auch seinem Selbstverständnis als Künstler, Genie und Gentleman. Auch wenn die Tatsache, dass er sich mit einer Frau eingelassen hat, die 15cm größer war als er selbst, einen gewissen Ruch von Modernität trägt. Auf offiziellen Porträts allerdings musste Cosima immer sitzend zu Richard (stehend) aufblicken.
Cosima und Richard Wagner
Dass Clara Zetkin wiederum als 42jährige den 24jährigen Kunstmaler Friedrich Zundel ehelichte – und zwar Jahrzehnte vor Madonna, Heidi Klum oder Demi Moore – darf durchaus als unkonventionell und sicher auch politisch verstanden werden.

Aber zurück zum Frauentag. Der Großkünstler Richard Wagner hat sich zeitlebens mit Frauen beschäftigt. Als Künstler hat er nicht nur „das Kunstwerk der Zukunft“, sondern gleich auch noch „das Weib der Zukunft“ entworfen. Folgerichtig drehten sich auch Wagners letzten Gedanken um das Weibliche im Menschlichen, so der Titel seiner letzten Schrift. Und als er in Venedig 1883 das Zeitliche segnete, brütete er gerade über dem Satz: „Gleich wohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich. Liebe – Tragik.“

Emanzipation durch ekstatische Zuckungen also. Dass sich Liebe und Tragik in Form des Liebestodes als durchaus erfolgversprechendes künstlerisches Konzept würden verwenden lassen, hat man spätestens am immensen Erfolg von Tristan und Isolde ablesen können. Denis de Rougemont hat die dort gefeierte „gegenseitige unglückliche Liebe“ gar als großen Fund – heute würde man sagen: unique selling point (oder wäre es doch eine signature Emotion ?) – der europäischen Literatur ausgemacht. Eine Emanzipation aber, die immer erst durch ekstatische Zuckung oder etwas weniger pointiert: den Tod Gestalt annehmen kann, ist als Programm mindestens unbefriedigend. Sie hängt – und das ist wiederum die zentrale Eigenschaft des „Weibes der Zukunft“ – mit der Erlösungsfähigkeit zusammen. Denn: Der erlösungsbedürftige Mann bedarf des Opfers der Frau, um erlöst zu werden. Wir erinnern uns: Senta springt „treu Dir bis zum Tod!“ singend von der Klippe ins Meer und wird dann ein paar Takte später gemeinsam mit dem Fliegenden Holländer, „beide in verklärter Gestalt; er hält sie umschlungen“ dem Wasser wieder entsteigen.

Als Role-Model dient das „Weib der Zukunft also grundsätzlich nicht – das schreibe ich als Vater zweier Töchter und nicht nur am Internationalen Frauentag. Auch Kundry, die vielleicht avancierteste Frauenfigur in Richard Wagners Werk nimmt sich durch ihr „Dienen! Dienen!“ selbst aus dem Rennen. Wie steht es also um die Frauen im Ring?
Simone Schneider und Christopher Ventris als Sieglinde und Siegmund im 1. Akt der Walküre – Foto: Martin Sigmund
Sieglinde ist sicher eine starke, mutige Frau. Dass sie wiederum komplett in der Andeutung von Mutterschaft aufgeht, dafür aber zwischen Die Walküre und Siegfried alleine im Wald sterben muss, ist von Wagner nicht ganz fair. Dadurch also auch eher kein Vorbild.

Brünnhilde ist natürlich eine extrem facettenreiche und vielschichtige Figur. Am Anfang Papas Lieblingstochter, dann aufsässige Revoluzzerin und – das darf man nicht vergessen! – eigentliche Erfinderin von Siegfried. Von Wotan bestraft und von der Walküre zur „normalen Frau“ degradiert. In Siegfried dann von der eigenen Erfindung wachgeküsst („das ist kein Mann“) und gewillt, mit Siegfried „lachend zu Grunde [zu] gehen“. In der Götterdämmerung wiederum enttäuscht vom schwächlichen Vater und betrogen von der eigenen Idee, deren Freiheit so umfassend ist, dass er sich wirklich an gar nichts halten kann. Also geht auch Brünnhilde nicht als strahlende Siegerin vom Platz. Sie muss, ähnlich wie Senta, erstmal alles andere abschaffen, um dann postmortal mit Siegfried auf dem Einhorn in die bessere Welt reiten zu können. So zumindest in der Inszenierung von Marco Štorman. Dass Wagner sie alle Untiefen der betrogenen Ehefrau-Opernfigur durchleiden lässt, ist vielleicht die Rache des Mannes an der starken Frau.
Okka von der Damerau als Brünnhilde im 2. Akt der Walküre – Foto: Martin Sigmund
Und Fricka? Immerhin zeigt sie dem Obergott Wotan, ihrem Mann, ziemlich deutlich seine Grenzen und auch die Begrenztheit seiner Lösungsideen auf. Und sie sorgt ja auch dafür, dass es so nicht weitergeht. Wotans Versuch, durch ein paar Chauvi-Sprüche wie „Der alte Sturm, die alte Müh‘! Doch stand muss ich hier halten“ augenzwinkerndes Einverständnis mit dem Auditorium herzustellen, dürfen wir nicht auf den Leim gehen! Dass er mit fast allen anderen weiblichen Figuren Nachwuchs gezeugt hat, nur mit seiner Gattin nicht, ist auch ein Hinweis darauf, dass Wotanwagner sie nicht ganz ernst nimmt – aber vielleicht ist diese Unabhängigkeit in mehrfacher Hinsicht ja für eine heutige Betrachtung durchaus brauchbar?
Rachael Wilson als Fricka in Das Rheingold – Foto: Matthias Baus
Versucht man nun, Bilanz zu ziehen, so würde es vermutlich keine der genannten Figuren auf das Cover von Clara Zetkins Die Gleichheit schaffen. Am ehesten vielleicht Fricka, gefolgt von Brünnhilde und Erda – jener Figur, die von Anfang an den Durchblick hat, die Ur-Wala, die alles weiß, aber doch nur warnen kann. Tröstlich ist vielleicht der Blick in die operngeschichtliche Nachbarschaft. Der offenbart nämlich, dass obwohl Wagner keine feministischen Role-Models geschaffen hat, seine Frauenfiguren doch wesentlich stärker sind als andere. Bizets Carmen vielleicht ausgenommen, die aber dafür auch deutlich abgestraft wird. Aber es ist ja auch klar, dass es in der Oper in der Regel um Figuren geht, die mit ihren Utopien und radikalen Ideen an der Gesellschaft scheitern. Und insofern stellen die Werke keine musikalisierte Ratgeberliteratur dar, sondern sie fordern eher auf, sich zu verhalten. Abgesehen davon ist die Oper ja nicht nur Musik und Text, sondern sie ist auch Theater. Und das bedeutet: Vergegenwärtigung. Und die Möglichkeit oder besser, die Aufforderung, sich zu dem, was verhandelt wird, in Beziehung zu setzen.

Grundsätzlich aber haben weder Richard Wagner noch ich irgendetwas Substantielles zum Internationalen Frauentag beizutragen, außer vielleicht gut zuzuhören. Und das kann man zum Beispiel sehr gut bei Eva Jantschitsch, die unter dem Künstlernamen Gustav auftritt und die unter anderem mit Die Hälfte des Himmels wirklich etwas zum 8. März zu sagen hat. Und zwar politisch, nicht zu lang und sehr unterhaltend.