Es ist ein hochpoetischer Bühnenmoment im Übergang zum vierten Akt von Jules Massenets „Werther“ in der Stuttgarter Produktion von Felix Rothenhäusler: Aus dem Bühnenhimmel regnet es plötzlich rote Rosen. Doch wie viel Arbeit, Pragmatismus und Technik steckt eigentlich hinter solchen Effekten? Kurz gefasst: ziemlich viel. Claudia Eich-Parkin hat sich im Malsaal umgesehen.
Da steht er nun allein auf „weißer“ Flur, der Mann mit dem gebrochenem Herzen – Werther in unglücklicher Liebe entflammt, den Blick sehnsüchtig nach oben gerichtet – und von dort fallen, nein schweben leise Tausende roter Rosenblätter zu Boden, hüllen ihn ein und bilden schließlich auch das Blütenbett, auf dem Werther und Charlotte einen ekstatischen Moment lang zusammenkommen. Es ist ein hochpoetischer Augenblick in der Oper Werther, und Jules Massenets aufpeitschende Musik lässt die Vergeblichkeit dieser amour fou bereits erahnen. Ob aber nun Rosenblätter, Schnee oder Konfetti aus dem Bühnenhimmel fällt – ein bekannter, aber immer wieder effektvoller Bühnenmechanismus – kaum jemand im Publikum ahnt, wie viel Vorbereitung der Blütenregen benötigt.
Patricia Heubischl, ausgebildete Theatermalerin und seit vielen Jahren an den Staatstheatern Stuttgart, kennt die Antwort, denn sie hat die Rosenblätter auf ihren Einsatz auf der Bühne vorbereitet. Denn was auch immer aus der Obermaschinerie nach unten schweben und an den starken Bühnenscheinwerfern vorbei gleiten soll – es gilt den Brandschutz zu beachten. Gemäß dieser Verordnung müssen die Rosenblätter der Kategorie „schwer entflammbar“ entsprechen, sie dürfen also nicht selbsttätig weiterbrennen, sollten sie einmal in Brand geraten.

Im Klartext heißt das: Alle Rosenblätter müssen imprägniert werden. Und zwar jedes einzelne davon.
Theatermalerin Patricia Heubischl ist für den Blütenregen in Werther zuständig.
Damit der Blütenregeneffekt auf der Bühne so richtig schön wird, braucht es eine ganze Menge von Rosenblättern – eine richtig große Menge: Insgesamt sind an den Staatstheatern 18 Umzugskartons voll mit leichten Stoffrosenblättern aus Kunstfaser vorrätig. Ein kleiner Streuverlust wird gleich mit einkalkuliert – schließlich müssen die Blätter am Ende jeder Vorstellung zusammengekehrt und wieder verpackt werden; dabei geht schon mal das eine oder andere Blatt verloren.

Für die Imprägnierung hat Patricia Heubischl jeweils eine Handvoll der Rosenblätter im bereitstehenden Eimer mit Imprägnier-Flüssigkeit eingetaucht, denn jedes einzelne Rosenblatt muss rundum gut durchnässt sein. Anschließend wird es kräftig ausgedrückt und in ein Sieb zum weiteren Abtropfen gegeben. Die feuchten Blätter werden zum Trocknen lose auf dem mit Packpapier ausgelegten Boden verteilt. Sie sollen dabei nicht zusammenkleben, denn im getrockneten Zustand würde das eher einem Blättergeschoss gleichen, das pfeilschnell von oben nach unten saust, statt des gewünschten sanft schwebenden Blütenregens.
Patricia Heubischl imprägniert jedes Rosenblatt einzeln, und lässt sie anschließend im Sieb abtropfen.
„Handschuhe sind dabei ein Muss“, erklärt Heubischl weiter, „denn die Flüssigkeit kann auf der Haut zu Irritationen führen. Auch das stetige kräftige Ausdrücken geht nach einer Weile in die Hände, so dass ich das nur höchstens ein, zwei Stunden am Tag machen konnte.“ Welche Requisiten oder Teile eines Bühnenbildes aus Brandschutzgründen imprägniert werden müssen, ist bei jeder Produktion die Entscheidung des Bühnenmeisters. Und je nach Größe der zu imprägnierenden Teile wird die Flüssigkeit auch mal mit einer Malerwalze oder gar mit einer Spritzpistole aufgetragen – Arbeiten, die im Malsaal auf den Nachmittag gelegt werden, denn die Gesundheit der Mitarbeiter geht vor: Einsprühen nur mit Atemschutzmaske, bei offenen Fenstern und eingeschalteter Abluft. Die bearbeiteten Teile trocknen dann den Abend und die Nacht über. Auch Trocknungs- oder Ausdünstungs-Zeiträume müssen bei der Belegungsplanung mit eingerechnet werden, denn Platz ist selbst in einem 1.400 qm großen Malsaal ein knappes Gut.

Die Technik bereitet den Blütenregen am Abend vor, in dem die Rosenblätter in die sogenannte „Badewanne“ gefüllt werden – ein großes Baumwolltuch, an beiden Längsseiten an Zugstangen befestigt und über die Bühne hochgezogen. Und wenn der Moment für den Blütenschauer gekommen ist, bewegt sich eine der Zugstangen langsam nach oben. Durch diese leichte Schaukelbewegung rieseln die ersten Blätter aus den eigens für diesen Zweck jeweils seitlich der Länge nach in das Tuch geschnittene Fenster. Und das geht abwechselnd schaukelnd so lange langsam hin und her, bis alle Rosenblätter durchgefallen sind.

Also nicht nur auf der Bühne und sichtbar für die Zuschauer wird im Theater mit viel Liebe zum Detail gearbeitet, sondern auch hinter der Bühne und in all den Werkstätten. Mit Liebe, Sorgfalt - und Zeit. Und im Fall
der Rosenblätter hat Patricia Heubischl eine gute Woche gebraucht, bis jedes einzelnen Blatt gebadet, getrocknet und einsatzfähig war für den malerischen Flug aus dem Bühnenhimmel.

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