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26.11.2024 Zwei Architekten
Zwei Architekten
Bruckners Achte Sinfonie und Boulez’ Notations sind Meilensteine der Musikgeschichte. Beide in unserem 2. Sinfoniekonzert: ein Wagnis. GMD Cornelius Meister erklärt, wie das zusammenpasst.
Ich durfte Boulez selbst kennenlernen, war sein Assistent, und sein Porträt hängt heute in meinem Büro im Opernhaus. Was ihn mit Bruckner verbindet, ist die Fähigkeit, eine unglaubliche Architektur in seinen Werken zu erschaffen. Bruckner tut dies in der Achten, die zu den längsten Sinfonien der Musikgeschichte zählt, in einem sehr großen Format, während Boulez sich in den ganz kurzen Sätzen der Notations als ein Meister der architektonischen Verdichtung zeigt. Gerade wegen der Unterschiede finde ich es sehr reizvoll, beide Werke in einem Konzert zu erleben.
Die Notations haben Boulez fast sein Leben lang begleitet. Mit gerade mal zwanzig komponierte er sie 1945 als Klavierwerk. Mehr als drei Jahrzehnte später gestaltete er zunächst für vier der Notations und später noch für eine fünfte eine Orchesterfassung. In dieser zweiten Version sind sie ein Idealbeispiel dafür, was mit Klangfarben alles zum Ausdruck gebracht werden kann und was ein Orchester überhaupt vermag. Die Besetzung ist sehr groß, aber fast jede*r einzelne Musiker*in spielt eine eigene Stimme. Dieses in höchstem Maße individualisierte Spielen, aus dem ein großes Ganzes entspringt, könnte ein Beispiel für unsere heutige Gesellschaft sein, in der das Streben nach Individualität für viele zentral ist, wir aber gleichzeitig das dringende Bedürfnis nach „Zusammenspiel“ haben.
So wie Boulez sich im Alter sein Frühwerk noch einmal vorgenommen hat, ist auch Bruckners Arbeitsweise durch ein ständiges Weiterentwickeln seiner Werke gekennzeichnet. Dies resultiert bei ihm aus dem beständigen Streben nach Vollkommenheit und einer großen Demut gegenüber der Musik. Für den tiefgläubigen Bruckner war der Komponiervorgang in gewisser Hinsicht ein Gottesdienst, mit dem er seinen eigenen kleinen Beitrag zu der großen Schöpfungsgeschichte leistete. In diesem Sinn kann auch die riesige Achte Sinfonie als Dankesgabe eines unvollkommenen Menschen an seinen Schöpfer verstanden werden.
Boulez dagegen wird häufig als Atheist bezeichnet. Als ich ihm seinerzeit bei Wagners Parsifal, einer Oper, in der verschiedene Religionen eine starke Rolle spielen, assistiert habe, schien es mir jedoch, dass er durchaus Sinn für eine gewisse Spiritualität hatte. Später sagte er: „Religion oder nicht – es gibt immer eine Ethik.“ Mit christlichen Werten wie der Nächstenliebe, um die es in Bruckners Achter Sinfonie unter anderem geht, wird sich bestimmt jeder Mensch, ob Christ oder nicht, beschäftigen.
Die Notations haben Boulez fast sein Leben lang begleitet. Mit gerade mal zwanzig komponierte er sie 1945 als Klavierwerk. Mehr als drei Jahrzehnte später gestaltete er zunächst für vier der Notations und später noch für eine fünfte eine Orchesterfassung. In dieser zweiten Version sind sie ein Idealbeispiel dafür, was mit Klangfarben alles zum Ausdruck gebracht werden kann und was ein Orchester überhaupt vermag. Die Besetzung ist sehr groß, aber fast jede*r einzelne Musiker*in spielt eine eigene Stimme. Dieses in höchstem Maße individualisierte Spielen, aus dem ein großes Ganzes entspringt, könnte ein Beispiel für unsere heutige Gesellschaft sein, in der das Streben nach Individualität für viele zentral ist, wir aber gleichzeitig das dringende Bedürfnis nach „Zusammenspiel“ haben.
So wie Boulez sich im Alter sein Frühwerk noch einmal vorgenommen hat, ist auch Bruckners Arbeitsweise durch ein ständiges Weiterentwickeln seiner Werke gekennzeichnet. Dies resultiert bei ihm aus dem beständigen Streben nach Vollkommenheit und einer großen Demut gegenüber der Musik. Für den tiefgläubigen Bruckner war der Komponiervorgang in gewisser Hinsicht ein Gottesdienst, mit dem er seinen eigenen kleinen Beitrag zu der großen Schöpfungsgeschichte leistete. In diesem Sinn kann auch die riesige Achte Sinfonie als Dankesgabe eines unvollkommenen Menschen an seinen Schöpfer verstanden werden.
Boulez dagegen wird häufig als Atheist bezeichnet. Als ich ihm seinerzeit bei Wagners Parsifal, einer Oper, in der verschiedene Religionen eine starke Rolle spielen, assistiert habe, schien es mir jedoch, dass er durchaus Sinn für eine gewisse Spiritualität hatte. Später sagte er: „Religion oder nicht – es gibt immer eine Ethik.“ Mit christlichen Werten wie der Nächstenliebe, um die es in Bruckners Achter Sinfonie unter anderem geht, wird sich bestimmt jeder Mensch, ob Christ oder nicht, beschäftigen.
Aufgezeichnet von Florian Heurich
Dieser Beitrag erschien zunächst in der zweiten Ausgabe der Spielzeit 2024/25 von Reihe 5, dem Magazin der Staatstheater Stuttgart.