Alle Zeichen auf Oper

Was ist denn das? Auf dem Bühnenboden des Opernhauses kleben seit einigen Wochen Hunderte bunter Zeichen. So viele wie noch nie! Warum ohne sie so manche Aufführung nicht stattfinden kann und warum Nebel auf der Bühne manchmal hinderlich ist, hat sich Henrike Wagner einmal angeschaut.
Foto: Paula Stietz
Auf der Bühne des Opernhauses fallen die zahlreichen Markierungen sofort ins Auge. Manche sehen aus wie ein Quadrat, andere wie eine herausgeschnittene 90 Grad Ecke.

Sie sind grün oder gelb und tragen charmante Namen wie „Gödä“ oder „Sigi“ oder ganz einfach „Beginn 2. Akt“. Dass damit natürlich Opern wie Götterdämmerung oder Siegfried gemeint sind, erschließt sich schnell, aber wofür braucht man diese Zeichen eigentlich?

Um die 200-300 Stück von ihnen gibt es auf der Spielfläche, meint Patrick Stiefel. Er ist Bühnenoberinspektor der Technik im Opernhaus und schon seit über zehn Jahren am Haus. Allein für die Vorstellung Götterdämmerung brauche es 70 Zeichen, genauso für Die Walküre und Der Räuber Hotzenplotz, erzählt er. Diese große Gesamtmenge an Markierungen auf der Bühne ist aber nicht die Regel und kommt vor allem dadurch, dass viele besonders aufwändige Opernproduktionen parallel nebeneinander laufen in dieser Spielzeit.

Die meisten Markierungen sind nötig für die sogenannten „Wägen“. Das bedeutet: alles, was an Bühnenbildelementen auf Rollen herumgeschoben werden muss. Das kann der Walkürenfelsen bei Götterdämmerung sein, ein Turm aus der Walküre oder auch ein Vorhang aus Der Räuber Hotzenplotz. Die Elemente werden an ihre zugewiesene Stelle geschoben, eventuell nochmal gedreht und dann an ihrem Platz festgestellt, damit sie in der Vorstellung bespielt werden können.

Für jede Produktion gibt es gesonderte Zeichen mit einem jeweils eigenen Farbschema, bzw. Farbmuster. Dennoch kommen die Bühnentechniker*innen bei großen Produktionen wie Walküre, Siegfried oder Götterdämmerung trotz vielfältiger Farbpalette von Klebeband irgendwann ans Limit. „Dann muss man kreativ werden“, sagt Patrick Stiefel. Die bereits vorhandenen Markierungen der Stücke werden ergänzt durch einen zusätzlichen Schrägbalken, eine weitere Farbe als besonders sichtbares Muster und andere Möglichkeiten der Variation.
Patrick Stiefel beim Studium der Bühnenpläne - für einen Umbau unverzichtbar - Foto: Paula Stietz
Alle Wägen mit Bühnenbildelementen müssen für jede Vorstellung, für jede Szene korrekt auf ihre jeweilige Position und auf ihre Zeichen geschoben werden. Damit das gelingt, haben die Techniker*innen für jede einzelne Oper einen zugehörigen Plan. Auf diesem wird von dem Mittelpunkt der Bühne aus der Standort jedes Bühnenbildelements vermessen, eingezeichnet und anschließend mit Klebeband auf dem Boden markiert. Außerdem haben viele Zeichen auch eine Buchstabenkennzeichnung, damit die Objekte, die auf die Zeichen geschoben werden, dort auch im passenden Winkel oder mit der richtigen Ecke stehen. Somit hat jedes Zeichen am Boden auch ein „Zeichen-Gegenstück“ beim gesuchten Bühnenbildelement.
Die technische Einrichtung einer neuen Oper läuft also in etwa so ab: Die Bühne ist leer, die Wägen werden hereingerollt und durch die Kolleg*innen händisch an die gewünschte Position geschoben, die Zeichen werden geklebt, Haken drunter im Plan und nächstes Zeichen.

Ein ganz schöner Aufwand für Patrick Stiefel und sein Team, erst recht, wenn man die Menge an Bühnenteilen bedenkt, die mitunter an einem Abend auf der Bühne stehen. Bei Neuproduktionen haben die Bühnenarbeiter*innen durch die mehrwöchige Probenphase einer neuen Oper viel Zeit, sich mit den Plänen der Markierungen und den Zeichen am Boden vertraut zu machen.

Bei der Wiederaufnahme einer Oper bleiben meist nur wenige Proben, danach muss alles für die kommenden Vorstellungen sitzen. Die sogenannte „technische Einrichtung“ muss dann innerhalb eines Tages abgeschlossen sein. Allein für das Kleben der Zeichen für Die Walküre müssen zwei Stunden eingerechnet werden.
Bei der Walküre stehen die Quadrate für jeweils einen der sieben Türme auf der Bühne. Foto: Paula Stietz
Umso mehr ist Patrick Stiefel froh über seine Mannschaft. Manche Kolleg*innen arbeiten seit 40 Jahren im Opernhaus und haben manche Stücke mehrere 100 Male auf- und wieder abgebaut. Trotzdem ist die sorgfältige Dokumentation für die Inszenierungen essentiell. Nicht nur für Mitarbeiter*innen, die erst seit kurzer Zeit angestellt sind, sondern auch für Stücke, die lange nicht gespielt wurden.

Die letzte Vorstellung der kürzlich wieder aufgenommenen Produktion von Katja Kabanova liegt beispielsweise elf Jahre zurück. Nur ein Drittel des technischen Teams war zu diesem Zeitpunkt bereits hier am Haus beschäftigt. In solchen Momenten sind möglichst exakte Bühnenpläne unabdingbar, damit die Umbauten verständlich für alle sind und folglich in der Vorstellung reibungslos ablaufen.

Das ist nämlich manchmal gar nicht so einfach. Geprobt wird am Anfang in der Regel mit „Arbeitslicht“, d.h. einem hellen, raumfüllenden Licht auf der Bühne. Erst nach und nach kommen die verschiedenen Lichtstimmungen dazu, die am Vorstellungsabend das Bühnengeschehen ins perfekte Licht setzen. Schlechte Lichtverhältnisse wie gedimmte Scheinwerfer oder im Zweifelsfall sogar gar kein Licht bieten eine zusätzliche Herausforderung für die Bühnentechniker*innen, die Zeichen auf dem schwarzen Boden zu erkennen. Auch Spezialeffekte wie der in Götterdämmerung eingesetzte Nebel erschweren die Sicht auf die verschiedenen Zeichen. Umso mehr sind ausreichend Bühnenproben nötig, damit alle Beteiligten die Handgriffe und Positionen kennen und sich auch bei „Nacht und Nebel“ damit sicher fühlen.
Header Foto: Lukas Kindermann