Das Foyer wird zur Werkstatt: Modist Michael Merten arbeitet der Abstandsregeln wegen im Böhm-Pavillon. (Foto: Manuel Wagner)

„Zwischen Gaspedal und Vollbremsung“

Der November-Lockdown geht also in die Verlängerung – noch bis Ende Januar werden an den Staatstheatern keine Vorstellungen stattfinden können. Was die augenblickliche Situation für die unterschiedlichen Gewerke und die Mitarbeiter*innen des Hauses ganz persönlich bedeutet, dem gehen wir in Gesprächen in der Reihe „Sind Sie sicher?“ nach. Mit Sabrina Heubischl, der kommissarischen Kostümdirektorin der Staatstheater Stuttgart, haben wir über den Arbeitsalltag unter Corona-Bedingungen gesprochen.
Liebe Sabrina, bist du sicher?
(Lacht) Ich bin sehr sicher, ja.
Wirklich? In diesen Zeiten?
Aber ja. Ich bin mir tatsächlich meines Umfelds, meiner Familie und meiner Freunde sehr sicher. Und ich fühle mich in meinem Arbeitsalltag sehr sicher – nicht nur, aber auch dank eines ausgefeilten Hygienekonzepts.
Gibt es nicht doch gewisse Aspekte, die dich unsicher werden lassen?
Dazu hat sich meine Einstellung in der Zeit der Pandemie stark verändert. An sich bin ich eine Freundin der langfristigen Planung, ich will alle möglichen Strategien und Optionen weit im Vorfeld durchspielen. Die aktuelle Situation hat mir einmal mehr bewusst gemacht, dass alles immer auch ganz anders kommen kann als wir es geplant haben – und dass man einfach reagieren muss auf die Bedingungen, die um uns herum herrschen.
Offenbar macht dir das keine Angst.
Nein – ich nehm das gern sportlich, als Herausforderung. Ich versuche, mich auf essentielle Dinge zu besinnen, für die ich froh und dankbar sein kann. Und im internationalen Vergleich muss man einfach sagen, dass wir hier in Deutschland ein verhältnismäßig gutes Gesundheitssystem und Auffangnetz haben. Das gibt große Sicherheit.
Wir arbeiten weiter, aber wir haben neue Regeln für jeden Schritt entwickelt: Kostümanprobe mit FFP2-Maske. (Foto: Manuel Wagner)
Wie hat sich die tägliche Arbeit in der Kostümabteilung verändert?
Wir müssen mit all den Abstands- und Hygienebedingungen ganz anders arbeiten als vor Corona. Im Kostüm ist man ja immer sehr nah am Menschen. Da stellen uns natürlich anderthalb Meter Abstand vor ein großes Problem, bei Anproben einerseits, aber auch bei der Betreuung von Darsteller*innen bei Vorstellungen – sofern wir denn spielen können. Hier herrscht ja eine sehr intime Nähe, ähnlich wie beim Friseur oder beim Arzt.

Das alles hat sich komplett verändert. Schutzmaßnahmen wie FFP2-Masken, Kittel und Einmalhandschuhe helfen uns natürlich bei der alltäglichen Arbeit mit den Darsteller*innen. Aber auch in den Werkstätten hat sich viel verändert – denn bereits vor Corona platzten die aus allen Nähten. Hier Abstandsregeln einzuführen, war eine ganz besondere Herausforderung.
Wie habt ihr das gelöst?
Im Frühjahr haben wir viele Kolleg*innen in Heimarbeit geschickt, soweit das möglich war. Wir sind außerdem in sämtliche Räume des Hauses ausgewichen, die zu dieser Zeit nicht gebraucht wurden. Die Foyers, Künstler*innengarderoben oder Aufenthaltsräume wurden zu Werkstätten oder Anproberäumen. Gerade die Gastronomiebereiche des Opernhauses sind perfekt dafür: Hier hatten wir genügend Platz und konnten ausreichend lüften. Die Produktions- und Abteilungsleiter*innen waren hier sehr kreativ und sind wahre Meister*innen im ständigen Planen und Umdisponieren geworden.

Aber klar, sobald der Probe- und Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde, fielen die Ausweichmöglichkeiten weitgehend wieder weg. Nun mit Kurzarbeit versuchen wir alle Mitarbeitenden in Schichten hier im Haus unterzubringen. Der Samstag beispielsweise wurde für uns ein regulärer Arbeitstag, um alle Kolleg*innen in wechselnden Besetzungen auf die gesamte Woche verteilen zu können. Die täglichen Arbeitszeiten wurden erweitert: Wir fangen morgens noch früher an, andere Kolleg*innen kommen später als gewöhnlich. Das bringt den Mitarbeitenden auch den Vorteil, dass die öffentlichen Verkehrsmittel leerer sind. Und für viele erleichtert das die Kinderbetreuung. Aber es fordert natürlich viel Flexibilität und Zugeständnisse von den einzelnen Personen.
In die Statisten-Garderobe umziehen musste der Schneider Moustapha Koumai, damit Distanzregeln gewahrt werden. (Foto: Manuel Wagner)
Woran arbeitet ihr denn gerade?
Momentan bekommt die Ballettproduktion Höhepunkte noch den letzten Feinschliff – am Freitag ist hier Streaming-Premiere! Das sind nur kleinere Baustellen, aber wir müssen auch die Endproben begleiten. Außerdem arbeiten wir an der Opernpremiere Verzauberte Welt. Das sind richtig tolle Entwürfe, die Werkstätten freuen sich, so fantasievoll arbeiten zu können. Im Schauspiel ist gerade Robin Hood fertig geworden, dazu kommt die Produktion Un/True. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit verschiedene Repertoirestücke auf und bereiten die Wiederaufnahme Die Kameliendame vor. Und natürlich ist längst schon das Frühjahr in Arbeit.
Wie plant ihr denn überhaupt in diesen Zeiten?
In mehreren Strängen. Da ist einerseits die langfristige Planung: Die Premieren des Frühjahrs müssen jetzt gefertigt werden – sonst besteht keine Möglichkeit, diese Produktionen rechtzeitig auf die Bühne zu bringen. Die bühnennahen Gewerke wie die Garderoben, die Rüstmeisterei oder die Reinigung können flexibler agieren. Dennoch wird auch für sie immer am Mittwoch der Vorwoche der Arbeitsplan für die darauffolgende Woche erstellt – aber nicht mal hier können wir oft schnell genug auf Änderungen im Spielbetrieb reagieren. Manchmal bereiten wir zwei Pläne parallel vor.

Wir am Theater sind es wirklich gewöhnt, flexibel zu arbeiten. Ob Umbesetzungen, Vorstellungsänderungen oder kurzfristige künstlerische Entscheidungen – das kennen wir zur Genüge. Aber gerade sind wir schon arg strapaziert – auch psychisch. Produktionen wie Juditha triumphans oder Werther direkt zu den Endproben abzubrechen, tut weh. Bei der Klavierhauptprobe sehen wir ja überhaupt zum ersten Mal die fertigen Kostüme im Licht auf der Bühne. Eigentlich werden dann sofort noch Änderungen umgesetzt. An dieser Stelle für unbestimmte Zeit den Pause-Knopf drücken zu müssen, ist einfach wahnsinnig schade fürs künstlerische Arbeiten.
Spürst du Frustration?
Nein, keine Frustration. Aber dieser ständige Wechsel zwischen Gaspedal und Vollbremsung zehrt schon sehr an uns allen. Im Frühjahr mussten wir uns zunächst komplett an die neue Situation gewöhnen. Wir haben Masken genäht und Schutzvisiere hergestellt, das gab auch Motivation, in dieser schwierigen Phase etwas für die Gesellschaft tun zu können. Das Oper trotz Corona-Programm im Sommer haben wir dann mit großem Enthusiasmus gestartet. Und dann im Herbst konnten wir endlich wieder zurück ins Opern- und ins Schauspielhaus – und nun erneut eine Vollbremsung.
Was wünschst du dir für die nahe Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir weiterhin einen kreativen Spielplan mit corona-tauglichen Projekten produzieren können – und die Ergebnisse unserer Arbeit einem Publikum zeigen können. Ich wünsche mir, dass künstlerisches Arbeiten wieder möglich wird, aber auch die Zwänge, unter denen wir gerade arbeiten, berücksichtigt werden. Meine Hoffnungen richten sich auf die neue Spielzeit. Vielleicht kommen wir dann ja wieder zu einer neuen Normalität zurück – für uns und fürs Publikum!