Swetlana Alexijewitsch

Swetlana Alexijewitsch, 1948 in der Ukraine geboren und in Weißrussland aufgewachsen, arbeitete als Reporterin. Nach einem Journalismus-Studium an der Universität von Minsk arbeitete Alexijewitsch zunächst als Lehrerin, Redakteurin und Korrespondentin verschiedener Zeitungen und Literaturmagazine und versuchte sich in unterschiedlichen literarischen Genres, bevor sie einen Weg fand, schreibend auf die Wirklichkeit zu reagieren. In ihrem 1983 abgeschlossenen Buch Der Krieg hat kein weibliches Gesicht erfasst sie eine kollektive historische Erfahrung erstmals über die Methode der Collage hunderter in Interviews aufgezeichneter individueller Stimmen. So brachte sie das lange verschwiegene Schicksal von Frauen in der Roten Armee während des Zweiten Weltkrieges zur Sprache. Das Buch konnte erst 1985, mit Beginn der Perestroika erscheinen. In allen folgenden Büchern bleibt Alexijewitsch dem von ihr begründeten Genre des „Romans der Stimmen“ treu. Der Krieg und seine Folgen ist auch Thema von Die letzten Zeugen. Kinder im zweiten Weltkrieg (erschienen 1985). Die Traumata eines Krieges ihrer unmittelbaren Gegenwart beleuchtet Alexijewitsch in Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen (1989). Es folgt Im Banne des Todes (1993), worin sich Alexijewitsch mit dem Phänomen anwachsender Selbstmordraten bzw. Selbstmordversuche nach dem Ende der Sowjetunion auseinandersetzt. In Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft (im Original Tschernobyl. Ein Gebet, 1997) verleiht sie den menschlichen Tragödien der Reaktorkatastrophe Gehör.

Den Abschluss bildet bislang Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus (2013). In diesem Buch untersucht Swetlana Alexijewitsch die Auswirkungen des gewaltigen Umbruchs, den der Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 mit sich brachte, auf die Biographien ihrer einzelnen Bewohner. Ihre individuellen Erfahrungen formen sich wiederum zu einem Chor der kollektiven Erinnerungen. Mit diesem Ende begann wohl deshalb eine „Secondhand-Zeit“, weil Lebensentwürfe und Werte, Professionen, Errungenschaften und Auszeichnungen von einem Tag zum anderen zu Ramsch verkommen waren. Oder, weil einem nichts blieb, als für die neugewonnene Freiheit Modelle aus dem Westen wie ein Leben aus zweiter Hand anzuprobieren.

Swetlana Alexijewitsch wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. 1998 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück (2001), dem National Book Critics Circle Award (2006), dem polnischen Ryszard-Kapuściński-Preis (2011), dem mitteleuropäischen Literaturpreis Angelus (2011) und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2013). 2015 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur.
© Margarita Kabakova