„Wo bist du, Melusine? Was machst du am Samstag? Glaubst du an deine Schuld?“ – In ihrer Oper „MELUSINE – Was machst du am Samstag?“ stellen die Komponistin Catalina Rueda und die Librettistin Lisa Pottstock eine Menge Fragen an den jahrhundertealten Mythos vom Schlangenwesen Melusine. Hier beantworten sie einige unserer Fragen rund um die Uraufführung.
Die mythische Melusine ist manchmal ein Schlangenwesen. Was ist sie für euch? Ein Mensch? Ein Tier? Etwas dazwischen? Ist eure Melusine „weder noch“ oder „sowohl als auch“?
Lisa Pottstock: „Sowohl als auch“ verstehe ich im Sinne von „Wir müssen alle alles sein.“ Oder: „Melusine muss beides sein.“ Das ist genauso ein Zwang wie die Festlegung, „entweder oder“ sein zu müssen. „Weder noch“ wäre eine Utopie: Es spielt gar keine Rolle mehr, als was ich angesprochen werde, als was ich mich definiere oder mit was ich mich identifiziere. Wesentlich ist ein Da-Sein im Körper oder in verschiedenen Körpern. Doch jeder Körper wird natürlich von den anderen als Zeichen gelesen und das produziert Missverständnisse. Und damit haben wir gespielt: Kann man Melusines Wesen greifen oder nicht? Kann man ihre Geschichte erzählen oder zerfließt sie uns? Und ist Identität nun etwas Gegebenes oder ein Konstrukt, das wir vielleicht gar nicht brauchen? Und wenn doch: Wann brauchen wir es, wobei hilft es uns oder für was nützt es uns?
Deborah Saffery und Lena Sutor-Wernich als Raimund und Melusine in MELUSINE – Was machst du am Samstag?
Nicht nur der Melusine-Mythos reicht zurück bis ins Mittelalter, ihr habt auch ein Lied aus dem 14. Jahrhundert aufgegriffen. Was macht diese alte Melodie in eurer modernen Oper?
Catalina Rueda: Es ist das Lied Fumeux fume par fumée eines Komponisten namens Solage. Ich variiere es in jedem der Zwischenspiele, und am Ende der Szene „Der Samstag“ wird es von den Sängerinnen fast im Original gesungen. Ich habe dieses Chanson während des Studiums kennengelernt und wollte es unbedingt singen und damit arbeiten. Ich habe mich viel mit der Musik der Renaissance und auch des Mittelalters beschäftigt. Zu jener Zeit hatte man schon mit Mehrstimmigkeit experimentiert, war aber tonal noch nicht durch die später entstehenden harmonischen Gesetzmäßigkeiten festgelegt. Dadurch entstanden Zusammenklänge, die sich für uns heute ungewöhnlich anhören. Es ist eine extrem spannende Musik, die mich sehr inspiriert.

Lisa Pottstock: Mit diesen Zwischenspielen wollen wir auch ein Ein- und Ausatmen ermöglichen, damit nicht einfach alles nur aufeinanderprallt. Aber auch da überlassen wir jedem Theater die Wahl: Man könnte auch erst einmal alle Zwischenspiele hintereinander spielen, zwanzig Minuten Instrumentalmusik. Und danach alle Szenen.
Die drei Melusine-Sängerinnen Deborah Saffery, Ramina Abdulla-zadè und Lena Sutor-Wernich.
Im Mythos entdeckt Melusines Mann Raimund ihr Geheimnis, als er sie heimlich beobachtet. Ihr thematisiert das Geheimnis in jeder Szene und beleuchtet davon immer unterschiedliche Aspekte: Das Recht auf Geheimnis, das jeder haben sollte. Den Anspruch, ein Geheimnis aussprechen zu dürfen. Und die Tatsache, dass man sich manchmal selbst ein Geheimnis ist. Da geht es gar nicht mehr um die Öffentlichkeit, sondern man spürt, dass man etwas von sich selbst noch nicht versteht. Offenbart ihr Melusines Geheimnis eigentlich jemals vollständig?
Lisa Pottstock: Ich glaube, wir haben das Geheimnis von Melusine sehr respektiert. Wir wussten ja auch nicht, was es ist. Es ist eben in Geheimnis! Ein Spiel zwischen Catalina und mir beim Schreiben war, einander immer wieder zu fragen: „Bist du endlich hinter das Geheimnis gekommen?“ Wir haben viel darüber diskutiert, was es bedeutet, ein Geheimnis zu haben oder miteinander zu teilen. Ein paar Mal haben wir uns mit Jugendlichen getroffen, ihnen die Geschichte erzählt und sie gefragt: Was machst du eigentlich am Samstag? Wie ist das mit Geheimnissen? Einige Antworten haben sich in unserer Oper versteckt. Wir haben diesen Mythos erst einmal sehr wörtlich genommen. Doch auf die Frage nach dem Geheimnis gibt es keine absolute Antwort. Die Wahrheit ist wahrscheinlich immer in einer Drehbewegung, bei der es fortwährend noch eine andere Seite gibt. Diese Unsicherheit möchten wir erlebbar machen. Für mich als Autorin eignet sich das Musiktheater dafür besonders gut, denn man ist hier auf den Moment und den Körper zurückgeworfen, auf das, was wir hören, und auf unsere anderen Sinne.
Wer ist hier das Ungeheuer? Deborah Saffery, Ramina Abdulla-zadè und Lena Sutor-Wernich als Melusine.

Eure Geschichte könnte man auch so zusammenfassen: Drei Frauen treffen sich am Samstag und erzählen sich eine Geschichte in einem geschützten Raum – in einem „safe space“. Was ist das für eine Gemeinschaft, die die drei bilden?
Catalina Rueda: Der geschützte Raum, in dem man kreativ sein und sich selbst realisieren kann, ohne Angst vor Bewertung, das war wichtig für mich. Da war Virginia Woolfs Essay Ein Zimmer für sich allein (A Room of one’s own) aus dem Jahr 1929 ein gedankliches Vorbild. Doch auch unterschiedliche Spielarten von Gemeinschaft sind in unserer Oper wichtig, zum Beispiel in der Szene „Die Liebe“: Musikalisch sind in dieser Szene drei Personen verbunden, obwohl sich textlich nur Melusine und Raimund begegnen.

Lisa Pottstock: Wir thematisieren auch die Gemeinschaft der Schwestern, denn einige Versionen des Mythos berichten von Melusines Schwestern, die wie sie verflucht wurden, deren Geschichten aber noch nicht erzählt sind. Der Begriff der Schwestern ist bei uns aber nicht rein familiär gemeint. Immer, wenn die drei Frauen von „Schwestern“ sprechen, handelt es sich um einen Moment, der ans Publikum geht: eine Einladung an alle, die sich Melusine zugehörig fühlen.
Was spielt sich denn nun am Samstag bei Melusine ab?
Catalina Rueda: Einerseits ist die Szene „Der Samstag“ sehr konkret: Sie beginnt mit einem Chanson, das unsere Version der Geschichte erzählt. Und dann kommt eine kolumbianische Tanzmusik, eine Cumbia. Danach singen die drei Sängerinnen zusammen das mittelalterliche Lied Fumeux fume par fumée. Der Samstag ist also vor allem ein Fest, ein gemeinsames Erleben. Wir lüften das Geheimnis nicht wirklich – aber wir feiern es. Alle miteinander und jede zugleich ihr eigenes.
Zeit für Party! Am Samstag feiern Lena Sutor-Wernich, Ramina Abdulla-zadè und Deborah Saffery das Geheimnis der Melusine.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Interview mit Catalina Rueda und Lisa Pottstock im Programmheft der Produktion.

MELUSINE – Was machst du am Samstag?

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