In dieser Saison ist Annesley Black die Composer in Focus des Staatsorchesters Stuttgart. Im 4. Sinfoniekonzert am 18. und 19. Februar wird ihre brandneue Komposition „A sound, a narrow, a channel, an inlet, the straits, the barrens, the stretch of a neck“ in der Stuttgarter Liederhalle uraufgeführt und entwirft dabei ein außergewöhnliches Raumkonzept. Vorab hat sie unserer Konzertdramaturgin Claudia Jahn-Schuster Einblicke in ihre Arbeit gewährt.
Im 4. Sinfoniekonzert wird Ihr neues Werk A sound, a narrow, a channel, an inlet, the straits, the barrens, the stretch of a neck uraufgeführt. Komponiert haben Sie es für das Staatsorchester Stuttgart und für den Beethovensaal der Liederhalle, denn ein zentraler Aspekt ist die Verteilung der Musiker*innen im Raum. Welche Möglichkeiten eröffnen sich dadurch?
Durch die räumliche Verteilung der Musiker*innen rücken Themen wie Nähe und Distanz oder auch Bewegung in den Vordergrund. Es lassen sich Klangbewegungen im Raum erzeugen, bei denen die Hörer*innen den Eindruck haben, dass der Klang durch den Konzertsaal wandert. Man hat die Möglichkeit, Klänge aus verschiedenen räumlichen Perspektiven wahrzunehmen. Außerdem lassen sich komplexe polyphone Strukturen räumlich voneinander trennen, um mehr Klarheit zu schaffen. Für uns Komponist*innen ermöglicht das Einbeziehen des Raums eine spannende und zugleich herausfordernde Mehrdimensionalität.
Was war für Sie besonders spannend bei der Verteilung der Musiker*innen im Beethovensaal der Liederhalle?
Im Beethovensaal hat man die Möglichkeit, Musiker*innen in den Logen und auch hinter dem Publikum zu platzieren. Dadurch hört das Publikum die Klänge nicht nur aus verschiedenen Richtungen, sondern auch von verschiedenen Ebenen, da die Logen und auch die Zuschauerempore erhöht sind.
Welche Herausforderungen sind mit dieser Aufteilung verbunden?
Das rhythmische Zusammenspiel der im Raum verteilten Gruppen ist dabei eine besondere Herausforderung, da beispielsweise die Blechbläsergruppe hinten in der Fernchorloge einen anderen Höreindruck hat als der Dirigent vorne auf der Bühne. Diese Diskrepanz musste ich in meine Komposition miteinbeziehen. Deshalb haben die im Zuschauersaal platzierten Musiker*innen oftmals ihre eigenen Tempi. Sie bilden eine eigene polyphone Schicht.
Welche Inspirationsquellen waren für die Entstehung Ihres Stücks von Bedeutung?
Ich habe zunächst mehrere Beispiele aus der Musikgeschichte studiert, die ebenfalls mit dem Aspekt der Verräumlichung arbeiten, wie etwa die Stücke für Blechbläserchöre des venezianischen Komponisten Giovanni Gabrieli aus dem 16. Jahrhundert. Außerdem habe ich mich intensiv mit den Arbeiten des US-amerikanischen Tänzers und Choreografen William Forsythe beschäftigt. Sein Umgang mit Bewegung im Raum hat mich dazu inspiriert, vergleichbare Techniken als Komponistin zu entwickeln. Eine weitere Inspirationsquelle waren die Antarktis und das Bild von schmelzenden Gletschern, wie etwa des Thwaites-Gletschers. Der Schmelzprozess verdeutlicht den Zusammenprall von Mensch und Natur. Meinem Stück liegen verschiedene klangliche Prozesse zugrunde, die sich auch mit dem Schmelzen von Gletschern verbinden lassen, wie etwa die stetige Veränderung der Dichte des Materials oder ein schneller werdender Rhythmus. Während der Vorbereitung auf die Komposition habe ich auch Audio-Aufnahmen von Kaiserpinguinen und Weddellrobben transkribiert und instrumentiert. Dabei entstanden interessante Mischungen von harmonischen und nicht-harmonischen Klangspektren, die die Bausteine meiner Komposition bilden.
Welche Entwicklung lässt sich innerhalb des Stücks erkennen?
Die Platzierung der Musiker*innen im Raum bestimmt die Dramaturgie des Stücks. Zunächst gibt es einen explosiven Anfang. Dafür habe ich mir eine sehr konkrete Situation vorgestellt: den Moment, als der britische Polarforscher Robert Falcon Scott, der die Terra-Nova-Expedition zur Antarktis zwischen den Jahren 1910 und 1913 leitete, zum ersten Mal das gewaltige Ross-Schelfeis in der Antarktis erblickte. Die Entwicklung des Stücks findet zuerst auf der Bühne statt. Ich wollte zu Beginn ein Gefühl von Ferne erzeugen, deshalb erklingen die Instrumente in tiefer Lage. Nach und nach weitet sich das Klangspektrum aus: die Bläser und Violinen kommen in höheren Lagen hinzu, Streicher bewegen sich durch den Saal und es erklingen weitere Instrumentengruppen.
Welche Funktion haben die Streicher*innen im Parkett?
Bevor die Streicher*innen in den Saal eintreten, fokussiert sich das Geschehen nur auf die Bühne. Mit den Streicher*innen wird der Zuschauerraum als Klangraum eröffnet. Man hört sie zuerst aus dem Foyer, wie aus einer anderen Dimension. Anschließend bewegen sie sich auf die Bühne zu. Ihre vom Dirigenten Pablo González angeleiteten Glissandi, die nach oben und unten verlaufen, bilden die unvermeidbaren Veränderung
Haben die anderen Instrumentengruppen im Raum auch spezifische Funktionen innerhalb des Stücks?
Ja, die Holzbläser in den Logen und auf der Zuschauerempore haben autonome, polyphone Stimmen. Die Blechbläser hingegen spielen häufig abwechselnd und kanonisch, inspiriert von den Kompositionen Giovanni Gabrielis.
Welche Bedeutung hat der Titel?
Der Titel enthält vier Begriffe, die mit Klang zu tun haben und zugleich eine geografische Bedeutung haben: „sound“, „narrow“, „channel“ und „inlet“. Im geografischen Sinn bedeuten sie ein Enger-Werden. Im zweiten Teil des Titels folgen die Worte „straits“, „barrens“ und „the stretch of a neck“. Das sind ebenfalls geografische Begriffe, aber gleichzeitig auch Ausdrücke für Schwierigkeiten, für Anstrengung und Spannung. Beim „stretch of a neck“ könnte man sogar daran denken, dass sich das Publikum drehen muss, um die im Raum verteilten Musiker*innen zu sehen.
Worauf freuen Sie sich besonders bei der Uraufführung mit dem Staatsorchester Stuttgart?
Ich freue mich vor allem auf den Orchesterklang. Das Staatsorchester Stuttgart besteht aus großartigen Musiker*innen. Dabei freue ich mich sowohl auf die Momente, in denen die Musiker*innen einzeln hervortreten werden, als auch auf ihr Zusammenspiel in vielschichtigen Tutti-Passagen.
Feb 2024
https://www.staatsoperstuttgart.de Staatsoper Stuttgart Oberer Schloßgarten 6, 70173 Stuttgart

So
18
11:00
Liederhalle, Beethovensaal
Besetzung
https://www.staatsoperstuttgart.de Staatsoper Stuttgart Oberer Schloßgarten 6, 70173 Stuttgart

Mo
19
19:30
Liederhalle, Beethovensaal
Besetzung