Neben der mondänen Oper gilt die Operette als Käseigel im Musiktheater: eher retro, ohne Raffinesse. Dabei wird sie mit wenigen Zutaten wieder frisch und saftig. Wie genau? Das hat Elena Tzavara, Co-Regisseurin der „Gefährlichen Operette“, für das Staatstheater-Magazin
„Reihe 5“ erklärt.
Ein Käseigel ist eine Halbkugelgarnitur aus essbaren Spießen in Igelform. Wichtig ist das Fundament: Das besteht nicht etwa aus Styropor oder Steckschwamm, sondern ist wesentlich leckerer: eine halbe Honigmelone, Orange oder Grapefruit. Um dem Fruchtigsüßen etwas entgegenzusetzen, bestückt man die Spieße mit Herzhaftem. Der gut in mundgerechte Würfel zu schneidende Gouda bietet sich da an, im Wechsel mit saftigen Trauben.

Ab den Fünfzigerjahren war der Käseigel ein äußerst beliebter (äußerst deutscher) Partysnack und integraler Bestandteil kalter Büfetts, der quasi auf keiner Feier fehlen durfte. Einfach zuzubereiten, gut verträglich, putzige Optik – ein unkomplizierter „crowd pleaser“, verlässlich satt machender Durchschnitt.

Die Operette ist so etwas wie der Käseigel unter den Musiktheatergenres. Die These klingt gewagt, ist aber durchaus logisch, wenn man sich das Zusammenspiel ihrer Komponenten ansieht: Auf einem fruchtig-süßen Fundament entspinnt sich in einer hübsch homogenen dramaturgischen Biegung eine heitere Geschichte. Die Spieße: saftige Musiknummern, gespickt mit herzhaften Dialogen. Schmeckt allen! Wie Johann Strauß’ süffige Fledermaus.

Nun sind Käseigel in den vergangenen siebzig Jahren kulinarisch aus der Mode und seine Fans in die Jahre gekommen. Ebenso das Operettengenre. Während sich die Fusionsküche mit ihrer Poké Bowl und das Theater mit seiner Postmoderne ständig neu erfinden, fehlt beim einen wie bei der anderen das zeitgenössische Update, das sich frenetisch feiern lässt. Sprich: die Raffinesse!

Ich blicke – das sei an dieser Stelle betont – weder auf Käseigel noch auf Operetten herab. Im Gegenteil, ich bin selbst eine lustvolle Liebhaberin. Stattdessen frage ich mich: Was muss passieren, damit der Käseigel zum Amuse-Gueule der nächsten Generation wird? Sicher ist der Mettigel in veganen Zeiten nicht die Antwort. Man könnte die Form behalten, dafür bei den Zutaten origineller werden – frei nach Yotam Ottolenghi, jenem israelisch-britischen Koch, der mit seinen so simplen wie ausgefallenen Rezepten die Kochwelt revolutioniert. Foodies sprechen vom „Ottolenghisieren“. Man könnte die Goudawürfel durch in Chiliöl gebratenes Harissatofu ersetzen, Weintrauben marinieren (Knoblauch, Essig, Öl, Zucker, Fenchelsamen, Salz, Pfeffer), grillen und griechische Minzblätter dazwischenschieben. Dazu passt im Hintergrund: Jacques Offenbachs haarsträubend verrückter Roi Carotte.

Und wenn man nun die Operette ottolenghisierte? Der Komponist Gordon Kampe lässt sie in seiner neuen Revue „gefährlich“ werden. Da lädt ein Dozent zum VHS-Kurs Operette in Geschichte und Gegenwart und wird von der durchgeknallten, zeitkritischen, sentimentalen, übertriebenen, bösartigen Operette in ihre Abgründe gerissen. Kampes Gefährliche Operette, von BR-Klassik mit dem Operetten-Frosch ausgezeichnet – ein Wahnsinn aus Cancan, Walzer, Marsch und Schnulze. Scharf im Abgang. Muss man sich trauen (siehe Chiliöl). Unbedingt probieren!

Gefährliche Operette

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