"Sind Sie sicher?" – So haben Sie geantwortet

Im Lockdown haben wir uns mit der Frage „Sind Sie sicher?“ auseinandergesetzt, und auch Sie sind in Form einer Online-Umfrage zu Wort gekommen – vielen Dank für Ihre Teilnahme! Einen Auszug der Ergebnisse gibt es ab sofort auf dem Glas-Container vor dem Opernhaus zu lesen. Zusätzlich fasst der Dramaturg Franz-Erdmann Meyer-Herder das Stimmungsbild der knapp 500 Umfrage-Teilnehmer*innen hier für Sie zusammen.
„Sind Sie sicher?“ – der Slogan kam uns Ende Oktober relativ schnell in den Sinn, als klar war, dass auch die Staatsoper Stuttgart von einem weiteren „Teil-Lockdown“ betroffen sein würde. Der Vorhang zu und wieder mal alle Fragen offen? Unsere „Sind Sie sicher?“-Fragerei zielte in diesem einmalig seltsamen Herbst in verschiedene Richtungen – in Richtung (Kultur)Politik, die kulturelle Infrastruktur der Stadt (Podcast Vol.3), an uns selbst (Interview Maurus Zinser) und nicht zuletzt natürlich auch an Sie, unser Publikum. Herausgekommen ist ein Stimmungsbild, das einerseits Überraschungen bietet, andererseits herzerwärmend Unaufgeregtes kommuniziert (the kids are alright!). In ein paar Fällen fühlten wir uns aber auch zum Aufräumen mit Vorurteilen und Klischees aufgefordert, denn die Maßnahmen der vergangenen November- und Dezemberwochen haben, wie zu erwarten war, zu allem anderen als Einigkeit geführt. 498 von Ihnen haben an der Umfrage teilgenommen und teilweise sehr witzige Dinge zum eigenen Sicherheitsempfinden geantwortet und uns ein paar ziemlich verblüffende Dinge zu Musik mitgeteilt, die Ihnen Sicherheit vermittelt. (Tada!: Dabei ist sogar eine erfrischend disparate Spotify-Playlist herausgekommen.) Also, wenn Sie bereit sind, dann bin ich es auch und hier kommt Menschliches, allzu Menschliches zum Thema: „Sind Sie sicher?“

Sicherheits- und Rückzugsorte

„Sicherheit“ ist offenbar für immerhin rund 83% von Ihnen ein sehr wichtiges bis wichtiges Thema. Was man darunter verstehen darf bzw. um welche Form von Sicherheit es Ihnen ging, wird weiter unten noch ein Thema werden. Interessant ist aber erstmal die Feststellung, dass in einem Ranking mit anderen Orten das eigene Zuhause unangefochten am häufigsten als der Ort angegeben wurde, wo sich die Mehrheit von ihnen am sichersten fühlt – gute Zeiten für Menschen, die sich sonst als Stubenhocker ausschimpfen lassen müssen, Gratulation! Gefolgt wurde Ihre Heimstatt von der Natur, die immerhin knapp 60% von Ihnen als den gefühlt „zweitsichersten“ Ort in ihrem Leben beschrieben und einem gar nicht allzu bescheidenen dritten Platz für Kulturinstitutionen, die bei nicht weniger als 42% von Ihnen auf der dritten Position landeten. (Keine Sorge, wir beherrschen Prozentrechnung, es geht jeweils um die Platzierung…) Diejenigen von Ihnen, die im Oktober bei uns gewesen sind, scheinen sich ebenfalls zum allergrößten Teil sehr sicher gefühlt zu haben. Und immerhin 84% von Ihnen sehnen sich in dieser Zeit nach Kunst und Kultur – mehr als doppelt so viele, wie diejenigen, die sich wieder mehr soziale Kontakte wünschen. Passt, denn anders herum haben wir hier Kunst und Kultur genug auf Lager und sehnen uns dafür nach Publikum und Austausch!
Keine andere Einrichtungskategorie wurde so oft als sicherer Rückzugsort benannt wie das eigene Bett oder die Couch.
Etwas präzisiert haben Sie dann in Ihren Antworten auf die Frage „Gibt es einen Ort, an dem Sie sich besonders sicher und geborgen fühlen?“ und da lud einiges zur Identifikation ein: Polstermöbel scheinen in diesen Zeiten ein beliebtes Refugium zu sein, denn keine andere Einrichtungskategorie wurde so oft als sicherer Rückzugsort benannt wie das eigene Bett oder die Couch (mindestens eine davon sogar rot, wow!). Wir haben zwar auch gepolsterte Sitze, und die wurden auch nicht selten als ein Ort genannt, an dem man sich sicher fühlt, aber angesichts der momentanen Lage, wie sie sich über den November-Lockdown nicht unbedingt zum Besseren verändert hat, bleiben Sie doch besser erstmal zu Hause. Die meisten von Ihnen haben da auch gute Gesellschaft, denn ohne zu intime Einblicke in Ihr Privatleben geben zu wollen, scheinen viele von Ihnen in der Pandemie verstärkt mit den Liebsten zu schmusen – schön, genießen Sie das!
Musik, die Ihnen Sicherheit vermittelt, trägt überdurchschnittlich oft den Namen J. S. Bach
Und weiter: Musik, die Ihnen Sicherheit vermittelt, trägt also überdurchschnittlich oft den Namen J.S. Bach? Das trifft sich gut, denn nicht zuletzt deswegen beschäftigen wir uns im Frühjahr mit einem von Bachs aufregendsten Werken, der Johannes-Passion. Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche beschäftigt dabei mit der Frage, was für Rituale und Geschichten Gemeinschaften erst entstehen lassen und was uns von der Fähigkeit, darin Schönheit zu sehen, verloren gegangen sein könnte. Dass Sie gerne weiter Opernaufnahmen hören und es auch eine gewisse Sehnsucht nach dem vollen Orchester- und Chorklang gibt, überrascht zunächst einmal wenig, das ist mehr als nachvollziehbar. Dass aber zumindest dreien von Ihnen ausgerechnet der Verismo-Schocker Cavalleria rusticana ein Gefühl von Sicherheit (!) gibt, hat mich schon ein wenig zum Schmunzeln gebracht. Auf vergleichbaren „Emotionsterror“ dürfen Sie sich hoffentlich ab März freuen, denn da holen wir, sofern es das Infektionsgeschehen erlaubt, die Premiere von Jules Massenets Werther nach. Regisseur Felix Rothenhäusler und sein Team haben sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Emotionen in radikaler Bejahung auch ein Sicherheitsrisiko darstellen können. Und zumindest eine Person unter Ihnen spricht für alle anderen Meloman*innen, die etwas zu diskret sind, um sich direkt dazu zu bekennen, dass sie in der Oper alles andere suchen als „das Gefühl von Sicherheit – im Gegenteil“. Seien wir ehrlich: Wegen des Ausnahmezustands kommen Sie doch zu uns!

In der auf der Umfrage basierenden "Sind Sie sicher?"-Playlist können Sie auf Spotify jene Musik hören, die Ihnen Sicherheit verleiht.
Wo es etwas leichter wird, bin ich bei Chers „Believe“ übrigens sofort dabei (der Wind weht da ja auch aus einer ähnlichen Richtung), aber auch auf Partys, zu denen diese Sorte Edeltrash einfach gehört, werden wir wohl noch ein Weilchen warten müssen. Zum Thema „Glauben“ haben wir aber bereits im Frühjahr etwas zu sagen: Jesus Christ Superstar! Regisseur Marco Štorman (wir erinnern uns an den Publikumserfolg von Nixon in China) und sein Team gehen ein weiteres Mal an die Konstruktion von Erlöserfiguren heran – wann, wenn nicht jetzt wäre ein besserer Moment, um sich damit auseinanderzusetzen, welche Hoffnungen und Ängste die Menschen bewegt, sich einer Gruppe anzuschließen oder nicht?
Die Abwesenheit von Bedrohungen und Angst ist eine der häufigsten genannten Definitionen von „Sicherheit“.
Sie wären natürlich nicht unser Publikum, wenn Sie auf Nachfrage nicht auch auf die Dialektik des Sicherheitsbegriffs hingewiesen hätten. „Überwachung“ fiel da als Assoziation, „TüV“ und ähnliches. Aber auch eine Definition, die meiner Meinung nach diese Dialektik perfekt abbildet: „Minimiertes Risiko unter Wahrung von Freiheit“. Das trifft es deutlich besser als einzelne Relativierungen, die uns leider ebenfalls erreicht haben – nein, in aller Deutlichkeit: Corona ist nicht „wie jede andere Grippe“ und daher müssen wir mit bestimmten Einschränkungen leben, auch wenn es einem wie das größtmögliche persönliche Opfer vorkommt: Die paradoxale Wahrnehmung von präventiven Maßnahmen, die bei kaum wahrnehmbarem individuellem Nutzen den größten Dienst am Kollektiven tut, lässt sich nicht wegdiskutieren (#präventionsparadox). Das ist eine Form von Solidarität, für die wir uns nach Möglichkeit noch viel stärker einsetzen müssen. Die Abwesenheit von Bedrohungen und Angst ist nämlich eine der häufigsten genannten Definitionen von „Sicherheit“, die von Ihnen kam, und dazu können wir alle unseren Teil beitragen – als Einzelpersonen, aber auch als Institutionen. Seien Sie weiter unbequem und kritisch, aber bleiben wir bei den Dingen, die sich nicht einfach außer Kraft setzen lassen, seriös. Einen sympathischen Schlingel – den Humor dürfen wir bei diesen Dingen nämlich auch nicht verlieren, sonst wird’s ganz zappenduster – gab es allerdings unter Ihnen auch, und so ist nun nicht mehr nur „Glück“ allein durch Harald Juhnkes Worte definiert, sondern auch die „Sicherheit“: „Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Na dann, Prost!

Was Sie der Kulturszene jetzt und in Zukunft wünschen

Wem es darüber hinaus dermaßen in den Fingern juckte, uns als Vertreter*innen der Kunst- und Kulturszene vorzuwerfen, wir würden nur „jammern“ und „Nabelschau betreiben“, und uns die Worte Kurt Becks ans Herz legte, wir sollten doch „einfach mal es Maul halde“, kann ich nur gutgelaunt entgegnen: Wir versuchen ja weiterhin trotz aller Einschränkungen optimistisch zu bleiben und jeweils mit ungebrochener Energie etwas Neues zu planen, das auf die Zeiten, in denen wir leben, reagiert. Larmoyanz sieht meiner Meinung nach anders aus. Dass da ab und an natürlich mal Frust entsteht, wenn man dem Ganzen kurz vor knapp den Stecker ziehen muss, dafür bitte ich hiermit alle, die nicht unmittelbar betroffen/beteiligt sind, um Verständnis – das bringen wir ja auch für die Notwendigkeit auf, so zu handeln, und für dieses Verständnis werben wir wiederum.

Eine Person unter Ihnen schrieb uns, wir sollten die Einschränkungen „nicht persönlich nehmen“
Umso deutlicher fiel eigentlich auch Ihr positiver Zuspruch aus, für den ich mich im Namen der Staatsoper herzlich bedanken will. Eine Person unter Ihnen schrieb uns, wir sollten die Einschränkungen „nicht persönlich nehmen“. Und genau darum geht es: Wir stecken alle zusammen in dieser Herausforderung, die einige mit noch viel größerer Härte trifft als uns. Umso optimistischer blicken wir der hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft entgegen, da es offenbar eine wahnsinnige Neugierde auf neue Formen gibt. „Inspiration“, wünscht uns da jemand von Ihnen, „Anregungen für meinen Alltag durch Schönheit, Hässlichkeit und Konfrontation. Auseinandersetzung mit der Welt um uns herum, auch wenn es unbequem ist.“ Die Einschränkungen, mit denen uns die Pandemie konfrontiert, werden zwangsläufig zu Veränderungen im kreativen Prozess führen. Wir sind permanent bemüht, auf die Situation zu reagieren und Neues auszuprobieren – im Zweifelsfall braucht es dafür aber auch mal Geduld, falls es Phasen gibt, in denen wir langsamer zu sein scheinen. Leider ist es auch hier ganz profan: Das Steuer lässt sich nicht immer in gleicher Geschwindigkeit herumreißen und ein Betrieb von dieser Größe will auch ordentlich durchgeplant sein, damit keine Malheurs passieren. In der derzeitigen Lage gilt nämlich für die Durchführbarkeit dessen, was wir Ihnen um alles in der Welt zeigen wollen, vor allem eines, was ich frei nach einem freundlichen Arzt zitiere, der in Stuttgart Covid-Tests durchführt: „Sicherheit ist derzeit ausverkauft.“
Wer jetzt Lust hat, noch etwas ausführlicher in die Ergebnisse unserer Umfrage einzutauchen, kann auf einem Spaziergang an der frischen Luft zwischen 5 und 20 Uhr einen Abstecher zum Opernhaus machen: Der Glas-Container steht noch bis 20. Januar auf dem Opernvorplatz und ist über und über mit Ihren Antworten beklebt!