Ohne ihn würde bei den Vorstellungen im Opernhaus und in der Liederhalle kein einziger Ton erklingen. Denn damit die Musiker*innen des Staatsorchesters überhaupt Noten auf ihren Pulten liegen haben, brauchen sie Stefan Geiss: Er ist als Notenbibliothekar an den Staatstheatern angestellt. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit.
Stefan, wie wird man das eigentlich: Notenbibliothekar?
Notenbibliothekar ist kein herkömmlicher Ausbildungsberuf und wir sind eigentlich alle Quereinsteiger. Ich zum Beispiel habe nach einer Ausbildung an der Berufsfachschule für Musik in Krumbach an der PH Ludwigsburg Deutsch und Musik für Lehramt studiert und während des Studiums an der Staatsoper Stuttgart als Orchesterwart gejobbt. Das Lehramtsstudium habe ich zwar noch fertig gemacht, aber dem Theater bin ich trotzdem erhalten geblieben. Damals gab es dann eine Vakanz in der Notenbibliothek, die recht schnell besetzt werden musste und ich konnte dort anfangen. So ist das ja manchmal im Leben – gute Dinge kommen einfach auf einen zu und man muss seine Chance ergreifen.
Was sind die täglichen Aufgaben in einer Notenbibliothek?
Die Arbeit in meiner Abteilung ist wahnsinnig vielfältig, ein recht spannender Mix aus musikalischen Eintragungen, Korrespondenz mit den Musikverlagen und Notenlogistik. Im Grunde sind wir von der Bestellung des Materials bis zur Aufführung des Werkes dabei und immer gut beschäftigt. Meistens haben die Dirigenten und Konzertmeister in unseren Produktionen und Konzerten ganz besondere Vorstellungen davon, wie die Musik klingen soll. In regelmäßigen Treffen stimmen wir uns ab und tragen dann die musikalischen Wünsche wie Dynamik und Bogenstriche in das Material ein. Für alle Musiker*innen des Orchesters, in jede einzelne Stimme. Außerdem fertigen wir die Regiebücher für die Regieassistenten und Inspizienten an.
Neben den Noten für die Musiker*innen fertigt Stefan Geiss für jede Produktion auch Regiebücher an. Die Regieassistent*innen tragen hier während der Proben haargenau sämtliche Abläufe auf der Bühne ein.
Die Musiker*innen des Staatsorchesters spielen jeden Abend aus Originalnoten. Was sind die ältesten in Eurer Bibliothek?
Wir versuchen, die Originalnoten bestmöglich zu erhalten und immer wieder zu restaurieren. Insgesamt verwalten wir in unserer Bibliothek ca. 100 Partituren für Opern und genauso viele für die unterschiedlichsten Ballette. Dazu kommen dann noch Noten für diverse Sinfoniekonzerte. Die ältesten Exemplare sind von ca. 1900 wie z.B. die Noten von Siegfried aus dem Jahr 1903 oder Madama Butterfly von 1908. Außerdem ist das Material von Ariadne auf Naxos ein kleiner Schatz! Die Oper von Richard Strauss wurde am 25. Oktober 1912 an der Staatsoper Stuttgart unter der Musikalischen Leitung des Komponisten höchstpersönlich uraufgeführt. Es ist bis heute Tradition, dass sich die Musiker und Dirigenten nach den Vorstellungen mit Namen und Datum hinten in die Noten eintragen. Und da gibt es natürlich auch einen Eintrag von der Uraufführung von vor 110 Jahren!
1912 wurde das heutige Schauspielhaus mit Richard Strauss' Ariadne auf Naxos unter der Musikalischen Leitung des Komponisten eröffnet. Auch heute spielen die Musiker*innen noch aus den Originalnoten.
Wie wurden die Noten damals hergestellt? Und gibt es einen Unterschied zu heutigen Verfahren?
Damals wurden die Noten mittels Platten gedruckt, was zu einem gestochen scharfen Ergebnis geführt hat. Wenn wir heutzutage neues Material bei den Verlagen bestellen, bekommen wir oftmals nur Kopien oder Scans. Das hat zur Folge, dass die Drucke unscharf sind und z.B. die Notenlinien ausfransen. Ein Grund mehr, warum wir uns viel Mühe geben, die Originale zu erhalten.
Um das historische Notenmaterial bestmöglich erhalten zu können, haben unsere Bibliothekar*innen von säurefreien Klebebändern bis hin zu handgeschriebenen Takten so einige Tricks auf Lager.
Was sind die Herausforderungen von Uraufführungen?
Uraufführungen sind für uns immer ganz besonders spannend. Ich denke z.B. an BORIS. Die Produktion kam 2020 zur Premiere und der Komponist Sergej Newski hat die Originalmusik von Mussorgskis Boris Godunow mit seiner eigenen Musik versetzt. Das bedeutet für uns natürlich eine Menge Bastelarbeit. Wir mussten eigentlich das komplette Material zu Mussorgskis Musik einmal auseinandernehmen und dann mit den neuen Passagen von Newski wieder zusammenbauen. Außerdem braucht man hierfür natürlich eine Menge Vorlauf, so etwas muss immer ganz genau mit den Verlagen abgesprochen werden.
Ein guter Mix aus Büroarbeit und Handwerk: Stefan Geiss an seinem Arbeitsplatz.