Ab dem 27. März ist Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals „Elektra“ wieder im Opernhaus zu erleben – ein vielschichtiges Werk, das Freuds psychoanalytische Studien mit dem antiken Atriden-Mythos verbindet und in überwältigende Musik kleidet. Ein wahrer Opernthriller, über den sich Juliane Votteler mit Regisseur Peter Konwitschny, Dramaturg Werner Hintze und dem damaligen Opern-Intendanten Lothar Zagrosek anlässlich der Premiere der Produktion im Jahr 2006 unterhalten hat.
Juliane Votteler Wenn ich an Ihre Inszenierungen der letzten Jahre denke, Herr Konwitschny, finde ich es erstaunlich, dass Sie diesmal einen tiefenpsychologischen Ansatz gewählt haben. Sie erzählen zu Beginn, was in der Oper Voraussetzung ist, aber nicht gezeigt wird: Agamemnon wird von seiner Frau Klytämnestra und Aegisth im Bade erschlagen, und die Kinder sind anwesend. Freud hat daraus eine Theorie entwickelt, den Ödipuskomplex der Mutter Sohn-Bindung und in seiner Nachfolge C. G. Jung den Elektrakomplex, die Tochter-Vater-Bindung. Die Tragik bei Ödipus liegt in der unwissenden Schuldhaftigkeit. Der Täter, der zugleich auch Opfer ist, weiß nichts von der Bedeutung seiner Tat. Die Vater-Tochter-Beziehung ist eine re­flektierte Traumatisierung, wenn man das so nennen darf. Der Ursprung ist rational: es gibt eine unauflösliche Bindung der Tochter an den Vater, den sie rächen will, und eine Abwehr der Mutter. Die Inszenierung zeigt uns, wie Elektra diesen traumati­schen Schock erfährt. Das ist die Grundlage der ganzen weiteren Erzählung.
Peter Konwitschny Ein sehr auffälliges Merkmal dieses Stücks ist, dass das musi­kalische Motiv, das mit dem Namen Agamemnons verbunden ist, ständig durch die Partitur spukt. Elektra ist mit diesem Namen verknüpft, sie ist darauf versessen, sie ist fixiert, sie kann nichts Anderes mehr machen oder denken, als den Vater zu rächen. Dem müssen wir inszenatorisch Rechnung tragen, damit man weiß, woher das kommt.
In dieser Familie liegt einiges im Argen. Peter Konwitschnys Inszenierung zeigt das, was Elektras Trauma auslöst: Der Mord an Agamemnon durch Aegisth und Klytämnestra.
JulianeVotteler Ist es wie ein Wagnersches Leitmotiv zu verstehen?
Werner Hintze Ich glaube es gibt da zwei Unterschiede: Der eine ist ein inhaltli­cher: Wagner hat die Leitmotive in den allermeisten Fällen kommentierend einge­setzt, während hier das Auftauchen des Motivs durchgehend psychologisch begrün­det ist. Der andere Unterschied ist ein kompositionstechnischer: Wagners Leitmoti­ve sind Bauelemente für die musikalische Struktur, und sie sind veränderlich. Sie erleben ein Schicksal, verwandeln sich. Das trifft für das Agamemnon-Motiv auf Grund seiner simplen Gestalt überhaupt nicht zu, dafür ist es auch gar nicht geeignet. Es gibt nur diese eine Form, was wiederum mit dem manischen Festhalten am Rachegedanken zu tun hat. Und an diesem ändert sich nun mal nichts. Da ist dieser Schock und seine Wirkung zieht sich unverändert durch das ganze Leben bis zur unverhofften Lösung.
Lothar Zagrosek Wichtig ist, dass, während bei Wagner die Leitmotive – neben ihrer semantischen Besetzung – vor allem konstituierende Elemente einer großen Architektur sind, Strauss diese vor allem benutzt im Sinne der bei Hofmannsthal angelegten Elektra-Erzählung als pathologische Studie, fußend auf den um die Jahrhundertwende in Wien in aller Munde diskutierten Untersuchungen Freuds und Breuers. Das heißt, die Leitmotive werden in pathogene Partikel zerlegt, die allgegenwärtig vorkommend darauf hinweisen, wie sehr die Handlung von exzessiver Gewalttätigkeit bis in alle Facetten verseucht ist.
Juliane Votteler Es ist aber auch im Werk von Strauss außergewöhnlich: Denken wir an die musikalischen Motive von Salome oder Die Frau ohne Schatten und deren eher atmosphärische Verwendung.
Strauss benützt mit ganz verblüffender Wirkung den größten denkbaren Orchesterapparat, den wir in der traditionellen Opernliteratur kennen.
Lothar Zagrosek Wobei die Unterschiede gerade zu Salome nicht allzu groß sind. Elektra ist generell in seiner Ausdrucksskala härter, expressionistischer. Die Walzer dort sind vergiftet, ekstatisch, in der Salome sind sie, was Walzer vor allem sind – erotisch verführerisch. Die Harmonik findet immer wieder zurück in die Tonalität, auch wenn Strauss mit Tonalität sehr frei umgeht – der Elektra-Akkord ist bitonal gleichzeitig in E-Dur und Es-Dur. Er rüttelt an ihr, reißt sie aber nicht ein. Die Instrumentierung ist, wie oft bei ihm, eine sehr genaue, rhetorische Kolorierung. Dabei benützt er mit ganz verblüffender Wirkung den größten denkbaren Orchesterapparat, den wir in der traditionellen Opernliteratur kennen.
Juliane Votteler
Dennoch wird hier das musikalische Material semantisch ein­deutig eingesetzt. Diese Konkretheit war sicher Anlass für die Entscheidung, Aga­memnon die ganze Zeit auf der Bühne anwesend sein zu lassen. Das erinnert einen an kindliche Prägungen, wie wenn man sich bei bestimmten Anlässen gefürchtet hat und schwitzte und im späteren Leben müssen nur ansatzweise ähnliche Zei­chen auftauchen und man reagiert reflexartig und schwitzt, obwohl die Ursache weit weg ist und man sie auch inzwischen als harmlos einstufen kann. Agamemnon ist die ganze Zeit da und obwohl wir wissen, dass er tot ist, scheint er ein eigenes Leben zu führen und hat das Bühnengeschehen „im Blick“. Eine Opernbühne ist eine Bühne, auf der man so etwas behaupten kann. Ist er ein Möbelstück, das man immer mitschleppt von Umzug zu Umzug, weil man Angst hat, es wegzuwerfen? Oder wie ist das zu verstehen?
Peter Konwitschny Es ging mir schlicht darum, worum es mir immer geht: Dass alle Gedanken, die man hat, in eine Theatersprache verwandelt werden. Es muss auch für jemanden, dem man es nicht erklärt, fassbar werden. Wenn Elektra so besessen ist von diesem toten Vater und an nichts anderes denken kann, dann ist es gut, das auch zu zeigen. Dafür ist der tote Agamemnon auf der Bühne ein gutes Theatermittel.
Der tote Agamemnon nicht als Vision Elektras, sondern leibhaftig auf der Bühne: Jeden Tag erscheint der Ermordete seiner Tochter.
Werner Hintze Wir wollten keine surreale Struktur etablieren, indem der Tote plötzlich wieder lebendig wird. Es ist eher als Witz zu verstehen. Der Vorgang steigert und bekräftigt die Absurdität, das Groteske der Auseinandersetzung Elektras mit ihrer Mutter, in der es unausgesprochen und vielleicht auch unbewusst immer um Agamemnon geht. Um das theatralisch fassbar zu machen, haben wir beschlossen, dass er wirklich zugegen ist. Zudem verstärkt dieses Mittel noch den „Horror-Effekt“. Mir fiel erst vor Kurzem auf, dass es mich an Psycho erinnert: Ein Mann, der seine schon sehr lange verstorbene Mutter in einem Rollstuhl aufbewahrt und immer mehr Leute umbringt, weil seine Mutter ihm das sagt. Das ist ein Zeichen für so eine Besessenheit von einer anderen – toten – Person, wie in unserer Geschichte, wo die Väter-Generation mit ihren Kriegskonflikten die Tochter so besetzt hält, dass sie kein eigenes Leben mehr leben kann. Ähnlich wie bei Psycho spricht sie ihn auch ganz konkret an, als wäre er noch am Leben.
Juliane Votteler Für mich ist auf der anderen Seite die Anwesenheit des Vaters auf der Bühne auch ein Zeichen von Geborgenheit, als wenn er immer noch auf sei­ne Tochter aufzupassen versucht...
Werner Hintze Wenn man ein kräftiges theatralisches Zeichen setzt, muss man darauf achten, dass es ambivalent bleibt.
Juliane Votteler Kommen wir zur Bühne: es gibt eine riesige Spiegelwand zu Be­ginn, die sich wie ein Tor teilt und dann sehen wir in ein Wohnzimmer wie aus den 70er Jahren. Die Spiegelwand reflektiert das Opernpublikum. War das so gedacht, dass wir uns erst selber sehen und sich dann die Tore öffnen und wir in unser eige­nes Wohnzimmer schauen? Ist die Botschaft, wenn ich es naiv ausdrücken darf, dass diese Familiendesaster unter unser aller Couchtischen passieren?
Peter Konwitschny Ja, zumindest ist es absolut darin enthalten. Das hat Schlieker so erfunden.
Juliane Votteler Die Verlängerung des Mythos in unser aller Leben?
Werner Hintze Das mag ein Gedanke gewesen sein, der zur Entstehung der Idee beigetragen hat. Das würde aber erfordern, dass auch die Rückwand verspiegelt ist. Das ist aber nicht der Fall. So wie es jetzt dasteht, sehe ich eher die Kälte dieser Le­bensumgebung. Sozusagen „clean“ gemacht nach dem Motto: es gibt da eine Leiche im Keller, da gibt es viel vergossenes Blut und daher ist es ganz besonders sauber und glänzend.
Juliane Votteler Auf die Rückwand werden Wolken projiziert. Die „Wetterlage“ hat einen verdoppelnden Charakter, sie gibt oft die Gefühlslage der Protagonisten wieder, reflektiert also die Stimmung. Wenn das Gewitter innerhalb der Familie tobt, gibt es tatsächlich Gewitter. Da wolltet ihr keine Brechung? Ist das auch eine Verlängerung, dass der Mythos bis in die Natur greift oder ist es eher umgekehrt gedacht, dass man sich unter dem drohenden Gewitter automatisch mehr fürchtet und das Drohende nach Außen kehrt?
Peter Konwitschny Das wechselt. Auf jeden Fall ist es eine Gliederung, eine Struktur, die durch die Wechsel erzeugt wird. Das ist so, wie wenn der Vorhang kurz zugeht und wieder aufgeht zum nächsten Akt. Ich glaube nicht, dass es immer die Stimmung verdoppelt. Am Anfang ist es ja ganz neutral wie ein Himmel der eine ganz leichte Bewegung hat, die man beim Betrachten kaum wahrnimmt. Und dann kommt noch hinzu, dass es eine Brechung ist, wegen des Innenraums, der durch die Möbel zu erkennen ist. Sowie die Uhr, die im Himmel ist und rückwärts läuft. Sie zählt den Countdown bis zum Tod der Mutter.
Eine riesige rückwärts laufende Uhr dominiert das Bühnenbild. Sie zählt die Zeit bis zum Tod der Mutter.
Juliane Votteler Ihr habt die Geschichte mit Orest etwas verändert: der Erzieher spielt eine wichtige Rolle.
Peter Konwitschny Wir haben uns gefragt was der Jubel am Ende bedeutet, be­ziehungsweise ob man am Ende überhaupt noch jubeln kann. Und da haben wir ge­sagt, dass nach so einer Katastrophe, wenn ein Mann eine Frau tötet, nicht alles wieder gut sein kann. Die Dimension wäre zu klein. Es geht auch um ein neues System, das sich etabliert. Und dieses System hat eben kein Interesse daran, dass auch nur einer, der dabei war, überlebt.
Juliane Votteler Ein modernisiertes System, mit derselben Struktur?
Werner Hintze Ja. Ein System wird abgeschafft damit ein anderes sich etablieren kann. Etwa so wie das diktatorische Regime im Irak abgeschafft und zumindest der Versuch unternommen wurde, ein anderes zu etablieren aber wieder mit Gewalt. Und vielleicht eben deshalb mit so durchschlagender Erfolglosigkeit. Da ist eine Parallele zwischen den Geschichten. Es ist so grauenhaft was am Hof der Klytämne­stra geschieht und daher muss man es „ausradieren“, aber letztendlich wird da­durch nichts besser.
Juliane Votteler Für mich hat das auch sehr viel mit einem Krieg, wie er im Koso­vo stattgefunden hat, zu tun. Die Säuberungswellen, der Genozid, damit man keine Zeugen hat und als Versuch, etwas reinzuwaschen.
Peter Konwitschny Kommen wir noch einmal auf den Pfleger zu sprechen. Wir haben überlegt, wie man seine Funktion deutlich machen kann. Normalerweise ist das ein alter, tattriger Mann, mit dem man vielleicht auch noch Mitleid hat und den man sympathisch findet. Wir aber nehmen ihn als Repräsentanten dieses neuen, kalten Systems. Dadurch erhalten wir eine ganz neue Sicht auf Orest, der vom Pfle­ger „programmiert“ wird.
Juliane Votteler Orest ist genauso geprägt wie Elektra, auch er hat ein Trauma. Orest wurde vom Hof verbannt, weil seine Mutter Angst hat, er könnte den Vater rächen. Seine Beziehung zum Pfleger deutet ihr als Hörigkeit, kann man das so sagen?
Peter Konwitschny Ja, klar. Er ist in diesem System aufgewachsen und ist nun ein Instrument.
Werner Hinze Er ist zum Muttermörder erzogen worden. Insofern ist er auf seine Weise in der selben Lage wie Elektra.
„Beide sind quasi Marionetten an verschiede­nen Fäden.“
Auf der einen Seite zieht der tote Vater die Fäden und auf der anderen Seite ist es diese andere Macht, die sagt „jetzt muss es geschehen“ und ihn zwingt, die Rache zu seinem Lebensinhalt zu machen.
Juliane Votteler Diese Vernichtungsmaschinerie, die sich am Ende in Gang setzt, soll aber keine Anspielung auf die Erinnyen sein? Orest wird ja später von den Er­innyen verfolgt, gejagt als Muttermörder. Später werden die Erinnyen, als Vertreter eines alten Gesetzes, dem Matriarchat, von Pallas Athene „umfunktioniert“ in die Eumeniden, die Schutzheiligen Athens, die Hüterinnen der Demokratie: eine neue Staatsordnung, die sich nicht länger auf die Blutrache gründet. Es ist ein brutaler politischer Akt, den Pallas Athene vollführt, um der Gewalt beizukommen. Ist es also hier eine Abrechnung mit dem Fluch und den Göttern des Olymps?
Werner Hintze Der Olymp spielt hier keine Rolle. Er kommt im Stück nicht vor. Es gibt keine Möglichkeit zu entkommen. Man entgeht diesem Fluch nicht, er setzt sich permanent fort. Neue Gewalttaten sind auf die alten gehäuft worden. Es gibt we­der einen Ausblick auf eine politische Lösung, noch irgendeine Art Transzendenz. Keine Götter, von denen man etwas erwarten könnte. Sie werden zwar gelegentlich erwähnt, aber das sind Redensarten die nichts bedeuten. Die olympischen Götter sind nicht die Verursacher des Geschehens. Die Geschichte fängt zwischen den Menschen an und pflanzt sich immer weiter fort und zwar immer über die Kinder.
Juliane Votteler Am Ende sehen wir ein riesiges Feuerwerk. Mich erinnert das an das Feuerwerk zur Machtergreifung Hitlers, da erzeugte man mit Feuerwerkskör­pern das Porträt von Adolf Hitler im Himmel. Gibt es da eine Anspielung, auch auf die Entstehungszeit? Elektra entsteht in einer politisch sehr gewaltsamen, unruhi­gen Zeit. Gibt es da Parallelen, nicht nur zur heutigen Zeit, sondern auch zur Ent­stehungszeit?
Werner Hintze Eigentlich nicht. Das Feuerwerk ist eine Illustration der Musik. Das Feuerwerk drückt am Schluss den Jubel in der Musik aus. Der Gestus der Mu­sik wird verdoppelt, und so verstärkt sich der Kontrast zu dem, was auf der Bühne stattfindet. Da steckt ein gewisser Humor drin, der mir sehr liegt: Die Maschinenge­wehrsalven, mit denen die Leute umgebracht werden, verwandeln sich in ein prachtvolles Feuerwerk, zu welchem Vulkane von Wohlklang aus dem Orchester­graben aufschießen. Das war eigentlich der Punkt, um den es im Finale ging. Eine Doppelbödigkeit – ganz sicher gegen Strauss' Intention, aber mehr Wahrheit ent­haltend als der affirmative Schwulst des Stückendes.
Am Ende: ein Feuerwerk. Aber steht es auch für ein Happy End?
Juliane Votteler Mich hat es an eure Daphne-Inszenierung in Essen erinnert, an deren Ende Bilder von deutschen Soldaten zu sehen waren.
Peter Konwitschny Bei Daphne war es wirklich anders. Das war 1938 mit einem wehmütigen Blick auf das Geschehen, wie Strauss sich wohl befunden haben mag, der Mitglied in der Reichsmusikkammer war und schließlich rausgeflogen ist, und dem doch immer eine Tendenz zum Faschismus angehängt wird. Das ist auch der Grund, warum seine letzte Oper Des Esels Schatten nahezu unbekannt geblieben ist, obwohl es ein Antikriegsstück ist. Bei Elektra haben wir nie an eine solche Parallele gedacht.
Juliane Votteler Im Gegensatz zu allem, was Strauss nach der Elektra schrieb, ist er in dieser Oper kompositorisch wirklich auf der Höhe der Zeit. Haben Sie, Herr Zagrosek, eine Idee, warum Strauss nach Elektra – es folgt direkt der Rosenkavalier – sich so abrupt abwendet von der musikalischen Modeme? Ist das ein konservativer Reflex, oder gibt es in den folgenden Werken doch so etwas wie eine „gefilterte“ Moderne? Kurz gefragt, hat die Radikalität der Elektra-Partitur doch irgendwelche Konsquenzen in den späteren Stücken?
Lothar Zagrosek Konsequenzen hat sie aus meiner Sicht keine. In Elektra und Salome gibt es sehrwohl Abschnitte, von geradezu präraffaelitisch, süßlicher Ästhetik. Man verbindet mit diesen beiden Opern natürlich vor allem das Rütteln am Zaun der Tradition, allerdings ohne diesen wirklich einzureißen. Ich glaube, Strauss’ musikalische Welt stellte das Schönheitsideal einer bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts nie wirklich in Frage. Er konnte deshalb auf die Zerstörung des 20. Jahrhunderts am Ende seines Lebens nur mit Selbstmitleid in Schönheit ertrinkend wie in den Metamorphosen oder mit blankem Unverständnis gegenüber seiner Situation und der persönlichen Verstrickung in die politischen Verhältnisse agieren, wie in dem Untersuchungsprotokoll von Klaus Mann dokumentiert, der ihn als amerikanischen Offizier nach dem Weltkrieg in Garmisch Partenkirchen befragte.
Juliane Votteler Abschließend noch eine Frage zur Erzählperspektive. Wir haben zu Beginn dieses starke Zeichen der traumatischen Prägung. Das befreit im weiteren Verlauf davon, die Figuren neurotisch spielen zu lassen. Sonst zeigt man Klytämnestra oft in Wahnzuständen. Hier ist es der bewusste Wunsch, auf eine allgemeine Situation zu kommen, Normalität zu zeigen, um das Einzelschicksal ins normale Leben zu verlängern.
Werner Hintze Ich halte es für sehr wichtig, dass man diese Frau bedauert wegen des Unglücks, das sie sich eingebrockt hat, indem sie einmal eine falsche Entscheidung gefällt hat und sie nicht wieder gut machen kann. Das gibt dem Stück eine große Dimension, was das Ganze betrifft. Eine schreckliche Situation dieser auf Gewalt basierenden Verhältnisse. Denn was sollte sie denn tun? Ihr Mann hat ihre Tochter Iphigenie ermordet, um diesen sinnlosen Krieg zu ermöglichen. Wie soll sie das verkraften? Dass sie sich dafür rächt, ist doch verständlich. Aber der Mord an ihrem Mann ist ein Verbrechen, und darüber kommt sie nicht hinweg, daran geht sie zugrunde. Ist sie etwa schuld an diesen gewaltbasierten Verhältnissen, die sie zerstören, wie sie auch alle anderen zerstören, die in ihnen leben müssen?
Juliane Votteler Alle Figuren werden mit großer Liebe und Zugewandtheit erzählt.
Peter Konwitschny Für mich ist es so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass man keine Figur preisgibt, weil sonst simple Schwarz-Weiß-Malerei entstehen würde. Wir wollen zeigen, dass die Verhältnisse verändert werden müssen, damit Menschen nicht durch solche Machtstrukturen entstellt werden. Das finde ich am wichtigsten.
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