Grenzen?
Welche Grenzen?

Mehr als ein „Werk“: Am 4. April feiert „Der Klang der Offenbarung des Göttlichen“ Stuttgarter Premiere im Opernhaus. Doch wie klingt das Göttliche? Florian Zinnecker macht sich auf die Suche nach der Unendlichkeit in der Musik.
Ein Werk, das von der Unendlichkeit handelt? Natürlich könnte man es sich leicht machen und sagen: So besonders ist das ja nicht. Ist nicht jede Komposition, rein technisch, der Unendlichkeit abgetrotzt? Gibt es nicht immer unendlich viele Möglichkeiten, den ersten Ton zu setzen, unendlich viele weitere für den zweiten und so weiter?

Es ist aber nicht alles. Denn dann gibt es immer noch diesen einen nicht auflösbaren Widerspruch: Wie kann man ein Stück schreiben, das von der Unendlichkeit erzählt, wenn die Kunst des Komponierens doch darin besteht, genau diese einzugrenzen und aufzuheben? Denn Musik ist eigentlich das Gegenteil davon: eine festgefügte Abfolge von Regeln. Bestehend aus Tönen, die irgendwann verklingen.Wie greift man also mit den etablierten Werkzeugen einer Musiktradition, in der streng von links nach rechts musiziert wird, etwas Nichtgreifbares, das größer ist als die Gesamtheit aller Regeln?
Der Klang der Offenbarung des Göttlichen ist ein Versuch in diese Richtung. Die Komposition von Kjartan Sveinsson, Gründungsmitglied der isländischen Postrock-Legende Sigur Rós, hat eher Züge einer performativen Klangskulptur denn einer Oper. Sowieso verwehrt sich diese musikalische Produktion aus vier Teilen jeglicher Genre-Kategorie. Sie lehnt sich an die Pictorial Music Plays an, die der deutsch-britische Maler, Musiker und Theatermacher Hubert von Herkomer im ausgehenden 19. Jahrhundert konzipierte.

Mit der Idee, das Theater vom Drama zu lösen, um am Ende eine Essenz zu destillieren: das reine Gefühl. Bei Sveinsson geschieht das durch Klang-Loops, die auf unterschiedliche Weise miteinander verschraubt sind. Der hyperromantische, sphärisch-schwebende Sound von Orchester, Chor und Solisten, der allein aus dem Graben aufsteigt, saugt die Hörer an und lässt sie nicht mehr los. Ein fast schon zeremonieller Charakter, der paradoxerweise dadurch verstärkt wird, dass die Bühne leer bleibt. Kein Personal – dafür eine Szenerie aus installierten Tableaux vivants des Künstlers Ragnar Kjartansson.
Säulen der Schöpfung, Sternenformation im Adlernebel, 1995, NASA
Es sind hypnotische Bilder, die ein emotionales Kaleidoskop auffächern, die von Liebe, Melancholie und Schmerz erzählen, abstrakt, assoziativ. Und die die immersive Wirkung der Musik ins Unendliche steigern. Das Gefühl wird in seiner Bedeutung allumfassend: etwas zu erleben, das seine Kraft aus größter Erhabenheit zieht. Der Klang der Offenbarung des Göttlichen kämpft nicht, strebt nicht, will nicht, muss nicht. Könnte es sein, dass auch diese Klänge immer schon da waren? Begreifen kann man nicht, was sich hier vollzieht, man hat danach aber den Eindruck, es doch ganz genau verstanden zu haben, ohne wirklich sagen zu können, was.

Wer über die Unendlichkeit nachdenken will, kommt an einer Erkenntnis nicht vorbei, die ihre Ausmaße mit dem Anschein absoluter Banalität kaschiert: Menschen sind beschränkt. Sie leben nicht ewig. Sie sind vergesslich. Auch die Dinge, die nicht vergessen werden, sind trügerisch gefärbt. Wir sehen mit menschlichen Augen und denken mit menschlichem Gehirn, schon die Vorstellung, was ein anderer sieht und denkt (oder sein Hund oder die Fliege an der Wand), ist kolossal überfordernd, ganz zu schweigen von der Frage, was das überhaupt sein soll: denken.
ESA/Hubble & NASA, R. Sahai
Als Versuch des Ausbruchs aus dieser Beschränktheit zielte alle Musik über Jahrhunderte naturgemäß auf die Ewigkeit ab. Bachs h-Moll-Messe umgibt eine Aura der Überzeitlichkeit, Haydns Schöpfung und Mozarts Requiem holen sie auch semantisch ins Hier und Jetzt. In den letzten Takten von Wagners Götterdämmerung kommt das so bezeichnete Erlösungsmotiv: Die Violinen spielen ein nach oben strebendes Melodiefragment, begleitet von einer abwärts führenden Basslinie. So öffnet sich noch einmal der Raum, dem Hörer ergibt sich der Eindruck, das Orchester ziehe den Fokus weit, vom Detail auf die Totale. Und dann, wenige Takte später, könnte alles von vorn beginnen – in seiner dramaturgischen Anlage ist der Ring ein Loop, dessen Wiederholung aber im Konjunktiv bleibt.
Diese Werke sind keineswegs reine Illustration. Sie sind beinahe der einzige Weg, um die Unendlichkeit sinnlich zu erfassen. Sehen kann man sie ja nicht. Hören auch nicht. Man kann sie noch nicht einmal messen. Es gibt sie – rein technisch – nur in unserer Vorstellung. Als Begriff für etwas, worauf sich der Mensch keinen Begriff machen kann. Also muss man von ihr erzählen. Dafür braucht man notwendigerweise die Kunst. Und weil, anders als die Sprache, Musik als Medium ihren Gegenstand gleichermaßen verklart und verklärt, eignet sie sich vielleicht am besten, um sie zu transportieren. Kann man das verstehen? Wirklich verstehen? Vermutlich nicht. Aber schön ist es doch: dass die Vorstellungskraft das einzig Diesseitige ist, mit dem die Unendlichkeit begreiflich zu machen ist. Und auch nur, weil sie selbst unendlich ist.

Der Klang der Offenbarung des Göttlichen

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