Der Orchestervorstand des Staatsorchesters Stuttgart äußert sich zur aktuellen Situation.
Durch die Verlängerung des Lockdowns und dem damit einher gehenden Verbot kultureller Veranstaltungen bis Ende Januar kommt nun das öffentliche Kulturleben im Corona-Jahr 2020 bereits zum zweiten Mal komplett zum Erliegen. Dieses Mal ist die Stimmung jedoch eine andere.

Als wir Mitte März dazu aufgerufen wurden zu Hause zu bleiben, war uns allen bewusst, dass mit dem allgemeinen Lockdown große Aufgaben verbunden sein würden. Uns war zudem klar, dass wir, sobald es irgend möglich sein sollte, Mittel und Wege finden mussten, um für unser Publikum da zu sein und den Zuhörer*innen wie auch uns selbst durch Konzerte und Vorstellungen Sinn zu stiften, insbesondere in der aufreibenden Situation der Pandemie. Bereits wenige Tage später begannen wir mit völlig neuen Formaten, wie Konzerten in Alten- und Pflegeheimen, Gärten und Innenhöfen und nahmen damit die Herausforderung der Pandemie an. Gleichzeitig halfen wir bei der Entwicklung von Hygiene-, Abstands- und Sicherheitskonzepten, um auch im Opernhaus und in der Liederhalle wieder aktiv werden zu können.

Uns war und ist sehr bewusst, dass wir durch unsere Festanstellung am Staatstheater trotz aller Widrigkeiten in einer „privilegierten“ Lage sind, da wir ein festes und tariflich abgesichertes Gehalt bekommen. Sehr viele unserer Kolleg*innen außerhalb unseres Orchesters hingegen sind als freischaffende Künstler*innen tätig, und das Veranstaltungsverbot kommt dem Verlust eines Großteils oder gar ihrer gesamten Einnahmen gleich. Aus diesem Grund spendete das Staatsorchester bereits Ende März 15.000 Euro und generierte weitere Spenden in Höhe von mehreren 10.000 Euro durch das Format der 1:1 Concerts, das wir gemeinsam mit den Initiatoren aus Volkenroda und dem SWR-Symphonieorchester geschaffen haben. In den Monaten Juni und Juli steigerten wir, dank des großartigen Einsatzes von Cornelius Meister und dem Team der Staatsoper Stuttgart, unsere Aktivitäten auf ein ungeahntes Niveau, das uns wirklich hoffnungsvoll stimmte. Von einem fulminanten Kammermusikfestival bis hin zum Beethoven-Sinfonie-Zyklus konnten wir unserem Publikum ein großes musikalisches Spektrum bieten. Wir waren trotz pandemischer Lage handlungsfähig und auch stolz auf uns und unser Orchester.

Nun, Ende November 2020, sind wir in einer Situation, die mit dem ersten Lockdown durchaus vergleichbar ist, jedoch fühlt es sich diesmal ganz anders an. Man verlangt uns viel ab, denn die Kulturbranche soll gemeinsam mit einigen anderen Branchen diejenige sein, in der die allgemein notwendigen Kontaktreduzierungen tatsächlich umgesetzt werden. Zugunsten von Bildungseinrichtungen und des wirtschaftlichen Lebens.
Wann und in welcher Form werden wir also tatsächlich wieder auftreten dürfen?
Ein weiterer Aspekt, der sich nun immer weiter verschärft, ist die wirtschaftliche Lage, denn die Staatstheater sind aufgefordert, die Einnahmeausfälle, immerhin ein zweistelliger Millionenbetrag, durch Einsparungen auszugleichen. Das Instrument der Kurzarbeit ist dazu in allen Gewerken und insbesondere beim Orchester als größtem Kollektiv der Staatstheater ein wirksames Mittel. Für beide Maßnahmen, also für die Absage aller Vorstellungen, sowie die Einführung der Kurzarbeit, haben wir vollstes Verständnis und sind selbstverständlich bereit, unseren Beitrag zu leisten.

Trotzdem können und wollen wir als Musiker*innen nicht „still“ sein, denn es geht um mehr als um unseren Beruf. Wir sind überzeugt: Durch Musik tragen wir zur kulturellen Vielfalt bei, helfen gerade in schwierigen gesellschaftlichen Situationen dabei, Frieden und Demokratie zu bewahren und machen unsere Welt insgesamt zu einem lebenswerteren Ort. Sowohl die Inszenierung der absoluten Stille als auch die Protesthaltung gegenüber den Maßnahmen zum Infektionsschutz halten wir für den falschen Weg. Wie kann es also gelingen trotz der schwerwiegenden Maßnahmen unserer Aufgabe als Musiker*innen nachzukommen?
Und wie genau definiert sich diese Aufgabe in Zeiten von Pandemie, Kurzarbeit und Veranstaltungsverbot?
Bei diesen Fragen lassen wir uns von der kulturellen Vielfalt als hohem und essentiellem Gut für unsere Gesellschaft leiten. Durch die schwierige oder sogar aussichtslose Lage der freiberuflichen Künstler*innen und Musiker*innen ist genau diese kulturelle Vielfalt in einem bislang ungekannten Maße bedroht. Wir wollen deshalb die nächsten Wochen dazu nutzen, um noch mehr Aufmerksamkeit auf diese Tatsache zu lenken. Wir versuchen Formate zu kreieren, in denen wir freischaffenden Musiker*innen eine Plattform bieten können. Wir hoffen, damit ein Bewusstsein für die Probleme der freien Musikszene zu schaffen – sowohl bei der Politik als auch in der Gesellschaft.

In den nächsten Wochen laden wir gemeinsam mit der Staatsoper Stuttgart freischaffende Musiker*innen zu gemeinsamen Gesprächen ein und veröffentlichen diese als Podcast. Wir arbeiten schon jetzt an gemeinsamen Konzertformaten, die umgesetzt werden können, sobald dies wieder erlaubt ist. Das 2. Sinfoniekonzert am 7. Dezember werden wir live ins Internet streamen, und nutzen dies für einen groß angelegten Spendenaufruf für die Künstlersoforthilfe Stuttgart und damit die freie Kunst- und Musikszene. Zusätzlich plante die Staatsoper Stuttgart im Dezember einen „Madrigal-Abend“ mit vielen barocken Sonderinstrumenten, gespielt von freiberuflichen Musiker*innen. Diese Produktion wird trotz des Lockdowns bis zur Generalprobe gebracht und kann aufgeführt werden, sobald das Veranstaltungsverbot gelockert wird. Die 1:1 Concerts werden ebenfalls fortgesetzt, um dadurch weitere Spenden zu generieren.

So schaffen wir trotz aller Einschränkungen drei Dinge: für unser Publikum präsent zu bleiben, unsere künstlerische Qualität aufrecht zu erhalten sowie Aufmerksamkeit für die Probleme der freischaffenden Musiker*innen zu generieren und diese bestmöglich zu unterstützen. Lassen Sie uns gemeinsam die veranstaltungsfreie Zeit dazu nutzen!

– Der Orchestervorstand des Staatsorchester Stuttgart

Programm in den nächsten Wochen

  • Die 1:1 Concerts kommen wieder zurück. Wie Sie sich für ein Konzert anmelden, lesen Sie hier.