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08.07.2023 Tabu Transzendenz?
Tabu Transzendenz?
Das Werk eines tiefgläubigen Katholiken trifft auf eine Inszenierung, die ohne jegliche religiöse Symbolik auskommt – ist das gut gegangen? Stadtdekan Christian Hermes findet: nein. Ein Debattenbeitrag zu Anna-Sophie Mahlers Inszenierung von Olivier Messiaens „Saint François d'Assise“.
Es gibt keinen Gott im Theater. Der „deus ex machina“ ist nur ein dramaturgischer Trick, sprichwörtlich, der aus der Bühnentechnik herausgezaubert dem Spiel eine Wendung gibt. Es gibt keine „höhere“ Welt über der Bühne, nur einen Schnürboden. Und selbst, wenn das Dach aufreißt, braust kein Geist wie damals an Pfingsten, sondern nur ein ordinärer Sturm, der statt Feuerzungen Hektoliter Regenwasser abwirft: „Imagine there's no heaven above us, only sky.“ So schwer ist es nicht, sich das vorzustellen. Viel schwieriger ist es, sich in unserer postmetaphysischen Zeit, nach dem angeblichen Ende der Religion und der Kunstreligion als ihrem säkularen Ersatz, das Unvorstellbare vorzustellen.
„Höre die Musik des Unsichtbaren!“, fordert der Engel in Olivier Messiaens Opern-Oratorium Saint François d’Assise den heiligen Franziskus auf. In drei Akten und acht Bildern, mit einer Musikdauer von über vier Stunden, entfaltet der französische Komponist ein monumentales Mysterienspiel über den aus dem Umbrien des 13. Jahrhunderts zu globaler Berühmtheit gelangten Bettelmönch und „Super-Heiligen“. Die Staatsoper Stuttgart, ihr Intendant Viktor Schoner, das Staatsorchester unter Leitung von Titus Engel, Chor und Solisten, allen voran Michael Mayes, sind nicht genug zu feiern für die Stuttgarter Produktion dieses Meisterwerks. Ganz große Oper!
Olivier Messiaen war allerdings nicht nur ein großartiger Komponist, der sein Leben lang Vogelstimmen in ihrer aberwitzigen Melodik und Rhythmik gesammelt und kompositorisch verarbeitet hat. Er war auch ein tiefgläubiger Katholik mit eigenwilligen mystischen Vorstellungen. Was aber anfangen mit einem Werk, das die Überwältigung durch die Herrlichkeit Gottes in den Mittelpunkt stellt? Das in dem von Messiaen selbst verfassten Libretto nicht nur mit mystischer Verzückung, sondern auch mit heute fast pathologisch erscheinenden Erfahrungen der Selbstentäußerung und Leidensverherrlichung irritiert? Und das mit einer Apotheose endet, im Fortissimo des wahnsinnigsten C-Dur-Akkords der Musikgeschichte: „Auferweckt in Kraft, in Herrlichkeit, in Freude!!!“
Eine breite und fruchtbare Kooperation im Vorfeld hätte Hinweise gegeben für eine substantielle inszenatorische Auseinandersetzung auch mit dem spirituellen Gehalt des Werkes. Darauf hat die Inszenierung von Anna-Sophie Mahler jedoch verzichtet, die Franziskus als Vogelprediger und Öko-Apostel des Sonnengesangs beim Wort nimmt. Genial die Idee, die Großoper aus dem geschlossenen Musentempel hinaus in den Tempel der Natur, hier auf den Stuttgarter Olymp des Killesbergs, zu tragen und die Höchstform menschlicher Kunst im Vogelkonzert in einen Dialog mit dem Naturschönen zu bringen.
Das war es aber auch. Wenn die Regisseurin sich zum tiefreligiösen Werk Messiaens zitieren lässt: „Ich brauche keine Kreuz- und Christus-Symbolik. In bin in der Natur groß geworden, meine Kirche ist die Natur“, ist das ihr gutes Recht. Das liegt auch gut im Trend, von einer romantischen Naturreligiosität bis zur ökoesoterischen Vergöttlichung der „Mutter Natur“.
„Höre die Musik des Unsichtbaren!“, fordert der Engel in Olivier Messiaens Opern-Oratorium Saint François d’Assise den heiligen Franziskus auf. In drei Akten und acht Bildern, mit einer Musikdauer von über vier Stunden, entfaltet der französische Komponist ein monumentales Mysterienspiel über den aus dem Umbrien des 13. Jahrhunderts zu globaler Berühmtheit gelangten Bettelmönch und „Super-Heiligen“. Die Staatsoper Stuttgart, ihr Intendant Viktor Schoner, das Staatsorchester unter Leitung von Titus Engel, Chor und Solisten, allen voran Michael Mayes, sind nicht genug zu feiern für die Stuttgarter Produktion dieses Meisterwerks. Ganz große Oper!
Olivier Messiaen war allerdings nicht nur ein großartiger Komponist, der sein Leben lang Vogelstimmen in ihrer aberwitzigen Melodik und Rhythmik gesammelt und kompositorisch verarbeitet hat. Er war auch ein tiefgläubiger Katholik mit eigenwilligen mystischen Vorstellungen. Was aber anfangen mit einem Werk, das die Überwältigung durch die Herrlichkeit Gottes in den Mittelpunkt stellt? Das in dem von Messiaen selbst verfassten Libretto nicht nur mit mystischer Verzückung, sondern auch mit heute fast pathologisch erscheinenden Erfahrungen der Selbstentäußerung und Leidensverherrlichung irritiert? Und das mit einer Apotheose endet, im Fortissimo des wahnsinnigsten C-Dur-Akkords der Musikgeschichte: „Auferweckt in Kraft, in Herrlichkeit, in Freude!!!“
Eine breite und fruchtbare Kooperation im Vorfeld hätte Hinweise gegeben für eine substantielle inszenatorische Auseinandersetzung auch mit dem spirituellen Gehalt des Werkes. Darauf hat die Inszenierung von Anna-Sophie Mahler jedoch verzichtet, die Franziskus als Vogelprediger und Öko-Apostel des Sonnengesangs beim Wort nimmt. Genial die Idee, die Großoper aus dem geschlossenen Musentempel hinaus in den Tempel der Natur, hier auf den Stuttgarter Olymp des Killesbergs, zu tragen und die Höchstform menschlicher Kunst im Vogelkonzert in einen Dialog mit dem Naturschönen zu bringen.
Das war es aber auch. Wenn die Regisseurin sich zum tiefreligiösen Werk Messiaens zitieren lässt: „Ich brauche keine Kreuz- und Christus-Symbolik. In bin in der Natur groß geworden, meine Kirche ist die Natur“, ist das ihr gutes Recht. Das liegt auch gut im Trend, von einer romantischen Naturreligiosität bis zur ökoesoterischen Vergöttlichung der „Mutter Natur“.
Mit Franziskus – dem Heiligen wie dem Papst, den das Programmheft anstandshalber zitiert – hat das natürlich nicht viel zu tun. Wenn der Engel als Gottesanbeterin (Wortwitz!), die natürlich nicht Gott anbetet, sondern mit ihren Fangbeinen auf Beute aus ist, oder der im hundertköpfigen Chor sich mit Franziskus zur unio mystica fusionierende Christus als „Blob“-Schleimpilz inszeniert wird, ist das genauso platt wie die finale Himmelfahrt des Franziskus als libellenbeflügelte Tinkerbell. Selbst in einer hart ökologisch-reduktionistischen Lesart böte die Oper das Potenzial, das Leiden einer gefährdeten Welt zeitbewusst in den Blick zu nehmen, jenseits naturromantischer Naivität.
Klar, die Inszenierung kann mit dem Werk machen was sie will, und wir wissen, dass die Kunst im Rezipienten selbst entsteht usw. Und doch frage ich mich, warum es offenbar geradezu ein Tabu für Fragen der Religion und Transzendenz auf der Bühne gibt. Anything goes, nur nicht Religion. Das liegt in der langen Linie von Religions-, Kunst- und Kulturgeschichte, ihrem emanzipativen, freigeistigen und kritisch-antiautoritären Anspruch oder zumindest Gestus. Aber ist die angestrengte Elimination auch noch jeglicher Frage nach Transzendenz, hier besonders augenfällig in einem Werk, das von der ersten bis zur letzten Note spirituell ist, nicht auch recht unsouverän? Vermeidungsverhalten ist auch eine Form von Glauben.
Oder hat man nur den Farbfilm vergessen? Die Sache ist vertrackt, denn selbstverständlich vermag Kunst nicht in so affirmativer Unmittelbarkeit Religion und Transzendenz zur Vorstellung zu bringen, wie Religion in ihren populären Existenzformen dies irrtümlich zu können glaubt. Und was nur als Karikatur auf der Bühne noch durchgeht, ist ja oft nur ein milder Schatten realexistierender religiöser Praktiken, die die Welt so schön machen, wie sie nicht ist. Aber Kunst hat doch mehr auf der Pfanne als Ignoranz, Verhohnepiepelung oder postmoderne Esoterik, die nur einen alten durch einen neuen Zauber ersetzt. Billig kommt man mit der Religion nicht davon - aber billig auch nicht ohne sie.
Man mag Religion mit Marx als „verkehrtes Bewusstsein“ in einer verkehrten Welt kritisieren, oder aber mit Habermas als in der Moderne unverzichtbares „Bewusstsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit“ achten. Wahrgenommen zu werden verdient sie allemal. Dies erst recht in einem Werk, das selbst den Weg einer negativen theologischen Ästhetik aufzeigt, die alle musikalische Kunst aufbietet um mit Wittgenstein von jenem „Mystischen“ zu schweigen, von dem man nicht sprechen kann: „Musik und Poesie haben mich in Deine Nähe geführt: durch Bild, durch Symbol und durch den Mangel an Wahrheit.“
Natürlich gibt es keinen Gott im Theater, wir sind ja nicht verrückt. Aber nirgendwo fehlt er großartiger, wenn man ihn nur lässt.
Klar, die Inszenierung kann mit dem Werk machen was sie will, und wir wissen, dass die Kunst im Rezipienten selbst entsteht usw. Und doch frage ich mich, warum es offenbar geradezu ein Tabu für Fragen der Religion und Transzendenz auf der Bühne gibt. Anything goes, nur nicht Religion. Das liegt in der langen Linie von Religions-, Kunst- und Kulturgeschichte, ihrem emanzipativen, freigeistigen und kritisch-antiautoritären Anspruch oder zumindest Gestus. Aber ist die angestrengte Elimination auch noch jeglicher Frage nach Transzendenz, hier besonders augenfällig in einem Werk, das von der ersten bis zur letzten Note spirituell ist, nicht auch recht unsouverän? Vermeidungsverhalten ist auch eine Form von Glauben.
Oder hat man nur den Farbfilm vergessen? Die Sache ist vertrackt, denn selbstverständlich vermag Kunst nicht in so affirmativer Unmittelbarkeit Religion und Transzendenz zur Vorstellung zu bringen, wie Religion in ihren populären Existenzformen dies irrtümlich zu können glaubt. Und was nur als Karikatur auf der Bühne noch durchgeht, ist ja oft nur ein milder Schatten realexistierender religiöser Praktiken, die die Welt so schön machen, wie sie nicht ist. Aber Kunst hat doch mehr auf der Pfanne als Ignoranz, Verhohnepiepelung oder postmoderne Esoterik, die nur einen alten durch einen neuen Zauber ersetzt. Billig kommt man mit der Religion nicht davon - aber billig auch nicht ohne sie.
Man mag Religion mit Marx als „verkehrtes Bewusstsein“ in einer verkehrten Welt kritisieren, oder aber mit Habermas als in der Moderne unverzichtbares „Bewusstsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit“ achten. Wahrgenommen zu werden verdient sie allemal. Dies erst recht in einem Werk, das selbst den Weg einer negativen theologischen Ästhetik aufzeigt, die alle musikalische Kunst aufbietet um mit Wittgenstein von jenem „Mystischen“ zu schweigen, von dem man nicht sprechen kann: „Musik und Poesie haben mich in Deine Nähe geführt: durch Bild, durch Symbol und durch den Mangel an Wahrheit.“
Natürlich gibt es keinen Gott im Theater, wir sind ja nicht verrückt. Aber nirgendwo fehlt er großartiger, wenn man ihn nur lässt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 1. Juli 2023.