„Da ist dieser besondere Theater-Geruch in der Luft!“

Er steht mal vor, mal mitten im Orchester, leitet Proben, studiert Partien mit den Sänger*innen ein, dirigiert Vorstellungen – wir haben mit Christopher Schumann über seine Aufgaben als zweiter Kapellmeister gesprochen, über die großen Herausforderungen des Berufs und den einen ganz besonders erfüllenden Moment.
Viele können sich unter dem Begriff „Zweiter Kapellmeister“ erstmal nicht so viel vorstellen. Wie würdest du deinen Beruf beschreiben?
Christopher Schumann: Ich bin sozusagen der Libero hier im Haus: Ich bin auf allen Seiten mit dabei, vor der Bühne, hinter der Bühne, in Absprache mit der musikalischen Leitung, der Regie und der Dramaturgie. Ich bin auch bei der Einstudierung der Stücke mit dabei und übernehme das Dirigat bei einigen Vorstellungen. Manchmal muss ich außerdem spontan irgendwo einspringen und etwa eine Probe eines Gastdirigenten oder einer Gastdirigentin übernehmen.

Generell muss man viele Produktionen sehr schnell abrufbar haben. An so einem großen Haus laufen ja immer ganz viele Produktionen gleichzeitig. Gerade zum Beispiel bin ich bei Dora und Hänsel und Gretel mit dabei. Dann kann es noch sein, dass man ein ganz anderes Stück spontan betreuen muss, das man noch nie gemacht hat … Dadurch, dass so viel parallel passiert, fällt schneller mal etwas an, was man selber eigentlich nicht mit abdeckt.
Würdest du sagen, das ist das Herausforderndste an deinem Job?
Das wären für mich eher Situationen, in denen ich einzelne Vorstellungen einer Produktion übernehme, dabei aber kaum bis keine Probe selbst dirigiert habe. Das heißt, ich muss aus dem Moment heraus mit dem Orchester und den Solist*innen eine Vorstellung auf die Beine stellen. Ein Spezialfall ist dann zum Beispiel sowas wie Carmen in dieser Saison: Da gab es bei den vier Vorstellungen, die ich dirigiert habe, drei verschiedene Carmen-Sängerinnen: Kristina Stanek, Stine Marie Fischer und Rachael Wilson. Also musste ich mich auf fast jede einzelne Vorstellung wieder ganz neu einstellen.

In solchen Fällen entsteht dann eine ganz besondere Spannung im gesamten Team! Nach dem Motto: „Oha, heute müssen wir alle ganz genau hinhören!“ Wenn man einen langen gemeinsamen Probenvorlauf hat, kann man auf ein gewisses Sicherheitsnetz zurückgreifen, das in solchen Fällen eben nicht da ist. Da arbeiten das Orchester, das Ensemble auf der Bühne und ich dann auf ganz besondere Weise sehr eng zusammen. Und am Ende ist das Gefühl nach der Vorstellung umso schöner – wenn alles geklappt hat. Das ist dann besonders beglückend! Auch wenn es sehr herausfordernd ist. Es hat einfach seinen ganz eigenen Reiz.
Christopher Schumann in letzter Abstimmung mit Sopranistin Rachael Wilson, die spontan bei einer unserer Carmen-Vorstellungen in dieser Saison eingesprungen ist.
Foto: Staatsoper Stuttgart
Wie bereitest du dich auf solche Vorstellungen denn vor, bei denen du keine Proben dirigiert hast?
Das kommt auf die Produktion an. Hänsel und Gretel, das ich jetzt am 1. März dirigiere, habe ich zum Beispiel schonmal dirigiert – das Stück habe ich also einigermaßen drauf. In dem Fall machen dann auch einige Sänger*innen vom letzten Mal wieder mit, die das Stück also schon mit mir als Dirigent kennen. Die Neuen kontaktieren mich meistens vor der Vorstellung, wir treffen uns und sprechen über die Produktion. Schwieriger wird es bei Gastsänger*innen – da kann es schon mal passieren, dass man sich erst am Tag der Vorstellung zusammensetzt. In solchen Fällen überlege ich mir davor, was ich kommunizieren will und welche Aspekte mir wichtig sind. Das funktioniert ganz gut und auch in beide Richtungen: Die Gretel-Sängerin zum Beispiel wird mir für den 1. März auch sagen, was für sie besonders wichtig ist. Dadurch können wir uns ganz gut abstimmen.

Ein großes Hilfsmittel sind außerdem die Dirigenten-Mitschnitte. Dafür kann man die Kollegen vom Ton um einen Mitschnitt der Kamera bitten, die bei der letzten Vorstellung den Dirigenten aufgezeichnet hat. Damit kann man das Dirigat analysieren und weiß dann, was das Orchester aktuell gewöhnt ist. Dann muss ich mich entscheiden, ob ich das Stück so dirigieren will, wie es der Dirigent vor mir getan hat – oder ob ich ein Risiko eingehe und die Vorstellung nach meiner Auffassung dirigiere.
Was gefällt dir besonders an deinem Job?
Mir gefällt es, dass er so abwechslungsreich ist: Von Oper bis Konzert, von Neuproduktionen mit langen und intensiven Probenphasen bis zu spontanem Einspringen. Das finde ich hier besonders toll, dass man so viel mitkriegt und an so vielen Stellen eingesetzt wird.

Aber das Schönste an diesem Job ist wirklich der Moment direkt vor der Vorstellung: Wenn man vor der Tür zum Orchestergraben steht und wartet bis das Orchester sich eingestimmt hat. Man schaut auf das Licht an der Tür und wenn das ausgeht, macht jemand die Türe auf und sagt „Viel Spaß!“ oder „Schöne Vorstellung!“. Und dann geht man in den Orchestergraben raus. Man spürt sofort diese besondere Atmosphäre, die Oper schafft. Das Orchester sitzt da in Festtagskleidung, die Leute applaudieren, der Dirigent begrüßt freundlich das Orchester … Da ist dieser besondere Theater-Geruch in der Luft! Dann schließt sich die Tür wieder, die Vorstellung beginnt und man weiß, was noch alles vor einem liegt. Es ist eine Reise durch ein Buch, bei dem man schon weiß, was für eine tolle Geschichte vor einem liegt. Das ist wirklich ein wahnsinnig erfüllender Moment für mich! Da konzentriert sich alles auf das, was man erarbeitet, koordiniert und kommuniziert hat und es geht nur noch darum, dies auf den Punkt zu bringen.
Christopher Schumann am Pult des Staatsorchesters Stuttgart
Foto: Julia Sang Nguyen
Im Mai steht unser Frühjahrsfestival an, bei dem du auch dabei sein wirst. Was genau wird deine Aufgabe sein?
Ich bin bei einem der Spieleabende mit dabei: Wir spielen Musik, die aus ganz vielen einzelnen Bausteinen besteht. Diese kann man frei verwenden, um den Abend musikalisch zu untermalen und ihn zu strukturieren. Die Regisseurin Daniela Kiesewetter hat sich überlegt, dass die Musik zum Beispiel immer schneller wird, während das Publikum ein Spiel spielt. So weiß das Publikum dann, dass sich sein Spiel dem Ende zuneigen muss. Außerdem ist noch ein Fragespiel geplant, bei dem es immer eine falsche und eine richtige Antwort geben wird – die wir dann auch durch entsprechende Melodien untermalen. Wir sind für den Abend gerade allerdings noch in der Findungsphase, wie genau wir das uns zur Verfügung stehende Material verwenden wollen. Ich bin sehr gespannt, was am Ende dabei rauskommen wird!
Apropos Spontanität: Nach dem Interview meldete sich Christopher Schumann nochmal: Kurzfristig fiel die Darstellerin der Schwester in der öffentlichen Probe zu Dora aus und er sollte die Rolle in der Probe spontan übers Mikrofon einsingen. Flexibilität ist also ein Muss.